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Im Parnaiba-Delta

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2013
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Der Parnaiba ist einer der größten Flüsse Brasiliens. In seinem Mündungsgebiet zerteilt er das Festland auf 50 km² in unzählbare grüne Inseln. Wir sind im Reich der Krokodile, Anacondas, Reiher und Affen. Mit einem schnellen Motorboot fahren wir knapp eine Stunde lang durch die Mangroven bis zur letzten Sandbank im Parnaiba-Delta. Hier verschmilzt der Strom unter springenden Wellen mit dem Meer.

Der Platz ist mehr als würdig, den Umkehrpunkt meiner Reise zu markieren. Ich bin in den letzten zwei Monaten mit Eselskarren, Autos, Bussen und Booten und zu Fuss knappe 1.800 km entlang der Brasilianischen Küste gereist. An 30 Spots hat mein Board Spuren im Wasser gezogen. Näher werde ich dem Äquator auf dieser Reise nicht mehr kommen, und nirgends wird der Wind beständiger und stärker blasen.

Der Vortag brachte noch einen gute Session am Coqueiro Beach zwischen Parnaiba und Barra Grande. Schon mittags sammeln sich hunderte von Brasilianern zum nationalen Feiertag in den Barracas am Strand. Wir gehen in schön brechenden Wellen und anfangs schwachem Wind zu dritt auf’s Wasser. Unser neuer Mitreisender ist der schüchterne Wikinger Johann. Er holt sich mit seinem Waveboard in den Wellen am Riff ein paar Brandzeichen, während wir die gröhlenden Strandmassen hinter dem Shorebreak springend unterhalten.

Das Schild an der Strandbar sagt „Nao aceitamos som carro“. Doch Gesetze sind nichts wert in Brasilien. Ab vier Uhr toben die Massen zwischen vier Monstertrucks mit jeweils wenigstens 5.000 W Soundanlagen im Heck. Gerne würde wir mitfeiern, aber die Unterkunft in Parnaiba ist noch weit, und am nationalen Feiertag sollte wenigstens ein Mensch in Brasilien halbwegs nüchtern fahren. Der Abend beschert uns ein im Kreis fahrendes Taxi, das uns an einem überteuerten Restaurant absetzt. Die Portionen sind zwar für einen zu wenig, dafür aber mit „genug für drei“ angepriesen, kalt und – was den schüchternen Wikinger am meisten erzürnt – wieder nicht mit blutigem Fleisch. Sein fliessendes Portugiesisch, die massive Hühnenstatur und Beharrlichkeit bescheren uns zwei kleine teure Gratismahlzeiten.

Am nächsten Morgen brechen wir früh auf. Die Isla Canarias formt die letzten Sandbank des Parnaiba-Deltas vor dem Meer. Auf ihr sammeln sich einige hundert mit grossen Booten kommende Brasilianische Tagesausflügler. Wir ankern kurz hinter ihnen, dort wo der Wind mit guten 25 Knoten über eine spiegelglatte Wasserfläche pfeifft. An Orten wie diesem schwebt der Hintern stets nur eine handbreit über dem Wasser. Der Winkel deines Körpers nähert sich dem Horizont. Zwischen der Sandbank und dem 300 m entfernten anderen Ufer der Flussmündung weht der Wind sanfte Wellen vom Meer herein. Ich kreuze einen Kilometer weit ins offene Meer auf, bis das Wasser auf meiner Haut wieder Salzkristalle hinterlässt. Das ist das Ende des Parnaiba, und der Endpunkt meiner Reise. Ich kehre um.

Wellen sind Musik. Wir sehen sie immer. Manchmal können wir sie hören. Und in ganz wenigen magischen Augenblicken können wir sie fühlen – und werden eines mit ihnen. Dann atmen wir in ihrem Rhythmus. Wir springen zu ihrem Beat. Die Brasilianer auf den Booten rufen nach mehr. Doch der Wind und die Wellen sind die einzigen, deren Rufen wir folgen. Wir sind Kitesurfer in den unendlichen Weiten des Parnaiba-Deltas.

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Ein Kommentar

  • Carin schreibt am Dienstag, 19.11.2013 um 12:41 Uhr:

    Ist das wieder ein ausgezeichneter Bericht. Lass endlich alles in einem Buch veröffentlichen.

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