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Fehmarn: take me home

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#699
0507
2019
Fr
20:11
Tag
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Die Anreise an die Ostsee führt über gute neun Stunden und viel Stau durch fast 40 Grad bis nach Fehmarn. Viele Tage verkündeten die Windorakel das nahende Ende des heissesten Junis seit Menschengedenken. Starke Winde fegen die Hitze eine ganze Woche lang nach Osten weg. Im Himmel über Fehmarn hängen mehr Kites als Kugeln an einem Christbaum. Das Gefühl ist weihnachtlich: sehr kalt – aber voller Endorphin.

Hasen hoppeln furchtlos zwischen dem Auto und wogenden Kornfeldern entlang. Schwalben geben mit dem Bauchgefieder an Grashalmen kratzend Windwarnungen aus. Shawn die Schafe grasen blökend auf den Deichen. Das Radio warnt windanfällige Fahrzeuge vor dem überqueren exponierter Brücken. Die Bäume biegen sich. Wir sind eindeutig zur rechten Zeit am besten Ort.

Unser Homespot ist für fünf Tage Gollendorf, gegenüber dem Festland im Süden Fehmarns gelegen. Auf dem Deich und am Wasser ist massig Platz, ein kleines Cafe zum aufwärmen steht seit letztem Jahr kurz hinter dem Deich. Parken kostet maximal vier Euro. Der Einstieg geht über vier Meter grobe wackelige Deichbefestigungs-Felsen mit fiesen Lücken runter ins Wasser.

Gute Starthelfer halten die Leinen hoch, während der Kiter ins Wasser klettert. Ich schramme mir den Fuss gleich am ersten Tag in einem Spalt auf. Fehmarn ist anders als die restliche Ostsee. Bis auf wenige Spots sind alle Deiche durch diese für Kiter wirklich dämlichen Felsen geschützt. Leinen hängen sich gerne ein. Sonst ist der Spot sehr fein und bis auf Schafkacke ungefährlich.

Ich gehe in guten 20 bockigen Knoten mit dem XR4 10m² raus und drehe erste Bahnen. Der Wind ist Ostsee-untypisch recht fordernd und äußerst bockig. Verstärkt wird das ganze durch die Landzunge von Orth mit ihren Gebäuden, die den Westwind zusätzlich verwirbeln. Das Low End liegt zunächst bei 18, Mitte bald bei 24 Knoten. Schon nach einer halben Stunde frischt der Wind deutlich auf. Böen liegen jetzt bei bis zu 32 Knoten. Der 10er ist voll angedampft, als ich bei einem Sprung plötzlich mit einem Ruck aus dem Himmel falle.

Der Kite schmiert ab. Sofort ist klar: eine Frontline ist gerissen. Immer wieder loopend zieht mich der Kite durchs flache Wasser nach Lee. Beim Kiten lernst du nie aus, auch nach 20 Jahren nicht. Heute gelernt: merke dir immer, an welcher der beiden Frontlines deine Safety hängt! Ich weiss es nicht. 50/50 Chance. Löse aus. Habe Glück. Kite und Bar bleiben an der nicht gerissenen Safety hängen. An Land berichtet mir der Fänger von seinem letzten Erlebnis dieser Art. Hatte weniger Glück. Kite und Bar waren nach dem Auslösen weg. Ich checke den Kite. Lines sind okay. Ein Pigtail ist gerissen.

Fehmarn ist Core Country. Hier kommen meine Kites her. An manchen Stränden sieht man keine anderen Marken. Ich bringe meine Kites das erste mal nach hause. Ein schnuckeliges altes kleines Lagerhaus liegt am Rande von Burg. Kaum zu glauben dass hier die Zentrale eines der weltgrößten Kitehersteller liegt. Ist aber so. Nach 20 Minuten habe ich neue Pigtails für meine beiden Bars und mache mich wieder auf den Weg ans Wasser. Es regenet und der Wind frischt schon wieder ordentlich auf. Auch am zweiten Tag bockt der Wind mächtig mit bis zu 28 Knoten. Kitesurfen ist heute wie Klimmzüge, unterbrochen von ständigem adjusten, aber ohne erneuten Leinenriss.

Am dritten Tag checken wir den Grünen Brink im Norden der Insel. Hier gibt’s gratis Parkplätze. Strandnutzung kostet 2,50 €, aber Kiter werden angeblich selten kontrolliert. Zum Kitespots sind’s zu Fuss ca. 300m. Der breite Sandstrand hinter den Dünen strahlt weiss in karibischer Sonne. Die Luft bleibt kalt, das offene Meer noch kälter. Wir kiten in milden Wellen zum Panorama der in Puttgaden nach Skandinavien auslaufenden Ozeandampfer. Dänemarks Windräder und Gebäude grinsen am Hoizont. Erstmals hänge ich in milden 18 Knoten am 13,5er XR4. Die Range ist besser als beim Vormodell – aber er ist ein furchtbar träger Elephant. Kein Vergleich mit dem 10er XR oder auch 13er Ozone Edge. Nicht mein Ding befürchte ich.

Der vierte Tag bringt echtes Sauwetter mit viel Regen und 14 Grad – aber schon am frühen Mittag ballert der Wind mit relativ laminaren 24 bis 30 Knoten voll onshore am kleinen Sandstrand von Gold über schöne kleine Wellen. Der 7er macht richtig Laune, und obwohl der Winkel zu den Wellen im Westwind recht spitz ist kann man ab und zu die Kicker ganz gut nutzen. Am Nachmittag gehe ich nochmal in Gollendorf alleine raus – aber der Wind ist wieder extrem bockig und vor allem nach nur einer halben Stunde schon wieder so stark dass das Limit des 10er erreicht ist. Abends friere ich im zu dünnen Sommeschlafsack und drei Kleidungsschichten.

Am letzten Tag fahren wir in den Norden nach Altenteil. Parken ist kostenlos und wir haben den ganzen breiten Sandstrand für uns alleine. Mir reichen die 15 Knoten nach dem Geballere der letzten Tage nicht mehr. Heute schieße ich einfach Bilder, lese und entspanne nach einer stürmischen Woche. Sabine geht mit meinem uralten riesen-Waveboard raus – und schafft es schneller als jeder andere zuvor damit zu fahren und Höhe zu laufen. Ich amüsiere mich zu jeder Halse und summe einen Song.

Maybe there’s a world where we don’t have to run
And maybe there’s a time we’ll call our own livin’ free in harmony and majesty
Take me home

 

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