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Scirocco in Lo Stagnone

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#731
0504
2022
Di
17:35
Tag
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Freund Wilko besucht mich für eine gute Woche aus Berlin. Fast die ganze Woche ballert der Scirocco mächtig mit 18 bis über 30 Knoten. An einem Tag steigert er sich sogar auf bis zu 46 Knoten Spitze. Definitiv zu viel für unsere kleinsten Kites. An den anderen Tagen testen wir alle Spots der nördlichen Lagune von Lo Stagnone durch. An den wenigen windstillen Tagen touren wir über Westsizilien.

Die erste Session starten wir bei Wind, Water & Wine. Der Spot wird von der netten Österreicherin Lena geführt. Aufbauen geht bequem auf der Wiese. Infrastruktur gibts sonst wie an den meisten anderen Plätzen auch keine. Die einzigen Bars sind vor dem Kiteresort – und alle noch geschlossen. Am Tag zahlt man bei Lena fünf Euro. Kite zum Wasserrand tragen, starten und raus aufs Wasser. Gefahren gibt es hier bis auf ein paar Kakteen am engen Strand und einem klar ersichtlichen Felsen im Wasser keine.

Bei Scirocco aus Süd ist man zwar leicht in der Abdeckung der vorgelagerten Insel Santa Maria – aber ist man erst mal rübergekreuzt gibts im Lee der Insel auch einen wunderbar spiegelglatten Flachwasserbereich. Auf dem Wasser ist es vor Ostern noch recht ruhig, nur 20 Kiter sind draußen. Ich kreuze weiter auf und umrunde einmal die ganze Insel. Die Tour geht beinahe ordentlich in die Hose. Kaum bin ich soweit vom Startspot entfernt wie möglich schwächelt der Scirocco auf einmal bedenklich. Am Abend bestätigen das einige Locals: der Scirocco kann erstens sehr heftig werden und ist zweitens auch immer wieder mal plötzlich komplett einschlafen. Man muss einfach warten und immer bereit sein.

Am zweiten Tag starten wir leicht nördlich des Kiteschulen-Zentrums. An der engsten Stelle reihen sich in Lo Stagnone mittlerweile satte zehn Schulen auf 500m Strand. Gratis starten geht nur in der Vorsaison. Jeder Grund ist gepachtet. Je weiter man nach Norden kommt desto flacher wird das Wasser – toll für Big Airs, aber versemmeln sollte man hier auch nichts kräftig. Der Boden ist überall schlammig-weich. Es gibt wenige Felsen, aber massig Seeanemonen lassen die Füße kräftig jucken. Bei bockigen bis zu 30 Knoten schleudere ich mich heute mit guten acht Metern ins Woo Leaderboard.

Für den Tag Flaute danach bin ich dankbar. Die ersten Tage Kiten nach Covid bringen nie genug Luft in die Lunge. Wir schwingen uns ins Auto und fahren ohne große Pläne los. Oh, ein Berg! Eine gesperrte kleine Straße? Nix da. Rauf! Oben finden wir uns ohne davon gewusst zu haben in der mittelalterlichen Stadt Erice wieder. Einer der touristischen Hotspots Siziliens wacht gähnend aus dem Winterschlaf auf – aber noch fast alles ist zu. Wir haben die ganze Stadt fast für uns alleine.

Auf der Abfahrt nach Norden hält uns die Polizei an. Es gibt hier generell ziemlich viele Kontrollen – und die Geschwindigkeits-Beschränkungen sind wohl die niedrigsten weltweit. Auf einer kerzengeraden zehn Meter breiten Landstraße durch die Pampa mit nichts außer wilden Müllkippen zu beiden Seiten wirst du über dutzende Kilometer auf Tempo 40 ausgebremst.

Auch das ganz im Norden gelegene San Vito Lo Capo hält noch Winterschlaf. Fast alle Restaurants und Bars sind noch geschlossen. Wenige Touristen wandern durch die Gassen. Der Strand wird mit Tonnen von frischem Sand aufgeschüttet. Bei nördlichen Windrichtungen und außerhalb der Hauptsaison darf man hier kiten. Angesichts der tollen Wellen steht das definitiv noch auf der To Do Liste. Wolken ziehen fast wie in Kapstadt über rot im Sonnenuntergang glühenden Berge.

Tags darauf dreht der Wind endlich mal auf West. Mein Lieblingsspot wird wegen dem guten Flachwasser die ganz im Norden gelegene www.kitelagune.at. Man ist hier ein paar hundert Meter vom Trubel der vielen Kiteschulen im Zentrum weg. Mein zweites Auto hier ist ein Citroen C3. Der SUV ist das perfekte Spaßmobil für die reichlich holprige Anreise über Offroad-Pisten. Ein Gast versenkt sein Auto gleich am ersten Tag sauber in 30 cm tiefen Schlammfurchen. Wir befreien ihn und bauen auf.

Es ist sehr kalt dieses Frühjahr. An manchen Tagen geht die Temperatur auf 12 Grad runter. Zusammen mit den heftigen Winden ergibt das einen ordentlichen Windchill. Nach einer guten Stunde im Flachwasser bemerke ich eine aus Westen heranziehende dunkle Wolke und gehe an Land. Kurz darauf hagelt es. Wenigstens verstehe ich jetzt die Helmpflicht in Lo Stagnone.

Im nahen noblen Weingut Donna Franca oben am Hügel verwöhnen wir uns mit einem sehr guten Drei-Gänge Menü und hervorrgendem schweren Riserva. Die Sonne versinkt im Meer hinter einem Infinity Pool. Am letzten Tag finden wir unerwartet in unserem ärmlichen Westerndorf ein Luxus-Resort-artiges Riesenrestaurant mit Platz für 400 Leute, Bar und Pool. Über die ersten zwei Stunden sind wir die einzigen Gäste zwischen acht Obern. Dann tröpfeln die heimischen Massen ein und tanzen schon bald zu einem wahrhaft einzigartigen Alleinunterhalter. Sizilien ist eigenartig.

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