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Pilgerfahrt

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2013
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Kurz vor der Landung in Jerez de la Frontera durchfliegt die Maschine heftige Turbulenzen. Turbulenzen sind so ziemlich das einzige, was mir immer Angst macht. Richtig Angst. Ich kann nicht erklären, wie das eine dem anderen nicht wiedersprechen kann. Aber:Turbulenzen killen mich – und ohne Wind würde ich niemals leben wollen.Die Maschine setzt auf und rollt in die Landeposition. Die Türen gehen auf, und 37° heisse Luft strömt herein.

37°, das ist ziemlich genau die Temperatur menschlichen Blutes. Dieser Sommer am südlichsten Zipfel Eurpas ist deutlich kühler als der zweite Ägyptische Frühling. Am Ausgang des Flughafens steht ein Schild: „Salida sin retorno – Ausgang ohne Wiederkehr“. Ich schreite schnell nach draussen.

Auf dem Weg von Jerez de la Frontera in unser Mekka strecken hunderte von Windrädern ihre nach hinten gebogenen Rotorblätter in den am Abend immernoch recht starken Levante. Andalusische Stiere grasen auf im Sonnenuntergang rot glühenden Trocken-Weiden. Zuhause motzen grün wählende Deutsche, wenn ihr wertloses Fertighaus am Rand von Hintertupfing wegen einer „vollkommen inkorrekt berechneten Schattenprojektion“ des einzigen Windrades weit und breit seinen angeblich letzten Restwert einbüsst. Hier an der Südspitze Europas hat Mad Max schon seit Jahren einen Ökostromstecker zwischen den Zähnen und die gesamte Landschaft zu einer Science-Fiction taugliche Endzeitfilm-Kulisse zugeschissen.

Die Altstadt von Tarifa wird von uralten mächtigen Mauern bewacht. Unser Auto bleibt erst mal aussen vor, als wir durch die Puerta de Jerez eintreten. Dominik hat mit der Unterkunft via Oase einen absoluten Volltreffer gelandet. MItten drin, uralt und von einem Hofer Selberbauer sauber restauriert. Er freut sich über deutschen Tabak, wir über ein Haus voller Geschichte. Das Dach endet in einer Terrasse mit Blick über die gesamte Altstadt.

Spanien fehlt das Geld wirklich überall. Der Polizist, der für unser fragwürdig abgestelltes Auto nach kurzer Parkzeit den Strafzettel schon komplett ausgestellt hatte, empfindet offensichtlich tiefes Mitleid mit meinen mangelhaften Spanischkenntnissen. Oder aber ihm imponiert die Mannigfaltigkeit meiner beschwichtigenden Gesten. Mit einem Verweis auf die rechts oben stolz auf dem Ticket prangernden 200 € spart er uns den Gegenwert von neun Tagen Pilgerkutsche. Wir parkend dankend weit ausserhalb um.

Die Altstadt kocht in der Hauptsaison. Auf einem kleinen Platz leitet ein rauchender Guitarrero eine dezente Flamenco-Studie über in eine andalusische Version von Hotel California. Mit unsichtbaren Zwischenbewegungen spielt er wenigstens zwei Gitarrenparts gleichzeitig auf einer. Das Licht fällt im gesamten Viertel aus. Der Guitarrero dreht blind auf. Kerzen und Handies werden gezückt, die Menge pfeifft.

Zurück auf der Dachterrasse, nach einem langen Tag, nach einem langen Monat, nach einem langen Jahr. Manche Reisen stehen einfach unter keinem guten Stern. Wir teilen uns gerade eine Literflasche San Miguel, als die letzte Sternschnuppe aus dem Persiden-Nebel über uns hinwegrauscht. DIese Reise hat gerade erst begonnen. Ich weiss: sie wird gut sein.

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