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Der große Aufzug

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2012
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Auf dem weissen Geländer meines Balkons wachsen grüne Flechten. Vier Stockwerke drunter lachen die wenigen Lustigen in einer Runde am Brunnen. Im Gemeinschaftssaal läuft ein Stück Bauerntheater. Ich sitze im Zimmer und schau nach Westen. Ein Schwarm Gänse zieht an der untergehenden Sonne vorüber.

Die Homepage der Reha-Klinik in Wismar zeigte alte Menschen. In echt sind sie noch viel älter. Ich bin mit weitem Abstand der jüngste unter 200 Insassen, und anscheinend auch der einzige. Eigentlich freue ich mich auf’s Altern. Aber derzeit will ich keine Alten sehen. Sie erinnern mich an den Tod. REA statt Reha. Wir sind ein großer Aufzug: Eine Zweckgemeinschaft kommt sich gegenseitig ignorierend wieder nach oben.

Werft mir Arroganz vor! Ich werd den Teller brav auslöffeln, habe einfach keine Lust mich mit Hirnbrettträgern über die verlässlichsten Befestigungsmöglichkeiten auszutauschen. Das war einfach genug Verwesungsgeruch dieses Jahr, und jetzt wurde ich frisch eingeschult ins Gymnasium der Untoten.

Im Restaurant hat jeder seinen festen Platz. Meiner ist bei zwei verbissenen alten Damen, die mich gleich am ersten Abend darauf hinweisen, dass die Entführung eines der 20 Getränkbehälter vom Buffet an den Tisch bei Todesstrafe untersagt ist. Ich gehe sieben mal zum Nachfüllen meines Zwergenglases. Dazwischen lese ich fünf Mal den Wochenspeiseplan und schaue durch die unglaubwürdig großen Kunststoffkreuze der Nostalgiefenster nach draußen. Schweigen.

Die Chefärztin attestiert mir freudigerweise Kite-Fähigkeit. Insofern möge ich meiner Leidenschaft frönen, solanger sie nicht mit dem Reha-Plan kollidiert. Diesen erstellt sie mir recht Kite-freundlich: den ersten Tag gibt sie mir schon mal mit einem Augenzwinkern Sturmfrei. Sofort ab an den Strand. Der nächste kitebare Spot ist der Campingplatz in Ziechow, gerade mal fünf Kilometer entfernt.

Der Start ist frei, das Parken umsonst, Futter gut und günstig. Ich baue den 13er auf und überlege kurz, rauszugehen. Wind passt, aber das Sturmtief über England schiebt gerade ein dickes Gewitter genau auf mich zu. Kurz darauf bestätigen Regen und Donner, dass das Draußenbleiben richtig war. Danach folgt einige Stunden Warten in der Flaute.

Gegen 15.00h frischt der Wind plötzlich stark auf. Sofort raus. Mein Gefühl am Strand war korrekt. Er ist wirklich voll am Limit für 13m². Ich schaff gerade mal eine halbe Stunde, kann und muss die Bar praktisch nie anziehen. Einmal mach ich’s doch, es geht brachial schnell und weit nach oben, so heftig dass ich schon auf dem Weg nach oben schrei – nicht aus Freude. Trotz gutem Einschlag der bessere Aufzug.

Der Wind bockt ganz untypisch stark mit am Abend nachgeschauten bis zu 28 Knoten. Beim Rausgehen laufe ich nicht zum Strand, ich schwebe im Dreisprung. Zuviel ist zuviel, und der Wind zum Glück kurz darauf wieder schlagartig weg. Mein Trapez hat mir einen Knutschfleck verpasst. Geiler Tag.

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Ein Kommentar

  • judith schreibt am Mittwoch, 22.8.2012 um 18:53 Uhr:

    kite + fühl dich jung___bald hast du’s überstanden!*

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