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Es gibt viel zu tun

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2011
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10:08
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Die Todesangst endet so schnell wie sie kam. Am Freitag erhalte ich bei der letzten Untersuchung in der Ambulanz des Krankenhauses die Nachricht, dass mein Hodenkrebs ein reines Seminom Typ 1 war, d.h. geringste Metastasenwahrscheinlichkeit. In den nächsten fünf Jahren muss ich alle drei Monate zur Nachkontrolle mit CT und Röntgen plus Blutwerte. Danach gelte ich als geheilt.

In der Ambulanz empfängt mich Dr. Achmed- oder besser Ach! Med! – schon eine Stunde nach Termin. Er spricht so gut deutsch, dass er fast alle meine Fragen versteht. Manche ist er sogar gewillt zu beantworten, auf andere (Kann ich mit Ernährung was tun?) lächelt er nur gelangweilt. Ich bin alles andere als rechts. Aber wenn’s um mein Leben geht, erwarte ich arroganterweise wirklich perfekte Beratung – in meiner Muttersprache.

Meine OP-Wunde heilt schlecht und blutet auch noch eine Woche später. Dr. Ach! Med! ist der Meinung, hier läge eine normale Wundheilung vor. Ich gehe jeden Tag gebückter vor Schmerzen und das Blut am Morgen wird immer mehr – bis sich am 10. Tag Uli drum kümmert. Sie erzählt mir von einer Sitzwache im Uniklinikum. Sitzwachen sind sowas wie die persönlichen Butler für Patienten, die in der Regel keine Wünsche äußern können – oft, weil sie sich eigentlich noch auf die Intensivstation gehören, aber keine Betten frei sind.

Sitzwachen passen auf die Monitor-Geräusche auf, checken Perfusoren und Infusionen und saugen die Luftröhre ab, wenn der Patient zu sehr röchelt. Ohren sind für diese Art der Arbeit  von Vorteil. Uli kennt den Gehilfen von Dr. Ach! Med! – er war auf ihrer Station mal Sitzwache. Die ganze Nacht hörte er Musik mit dem Kopfhörer und arbeitete am Laptop. Zusammen mit der Aussicht, bei jedem Besuch in der Ambulanz einen neuen Arzt kennenlernen zu düfen macht mir das große Hoffnung. Ebenso der Fakt, dass Dr. Ach! Med! nichts von einer Biopsie links wusste – erst auf Nachfrage versuchte er eine Antwort zu finden, ist dabei aber vermutlich gescheitert. Genauer kann ich das ob seiner Deutschkenntnisse leider nicht einschränken.

Ich gehe mit einem eigenartigen Gefühl des Verlassenseins heim. Meine Freunde und Familie sind da – von den Ärzten und dem Krebs wurde ich wohl verlassen. Die Ärzte enttäuschten mich fast durch die Bank. Kaum einer ging auf meine Angst ein, alle kümmerten sich einzig um biologische Symptome. Uli berichtet von einem Hodenkrebs-Patienten des St.Josephs, bei dem in der Nachkontrolle offenbar vergessen wurde, das CT anzuschauen. Hätte das seine Freundin nicht getan, wäre er wohl an den neu enstandenen Lungen-Metastasen gestorben. Ich mache einen Termin bei einer anderen Urologin.  Die meisten Fragen habe ich mir in den letzten Wochen durch zahlreiche Bücher und Internet selbst beantwortet (Danke, Dani!).

Es ist ein großes Glück, zu erfahren, dass man wohl länger leben wird, als für einige Zeit befürchtet. Die akute Krise ist so schnell vorbei, dass ich kaum Zeit habe, mich vorzubereiten. Alles was bleibt, ist das Wissen, dass mein Leben gut ist – aber einiges noch deutlich besser gelebt werden sollte. Ich arbeite zu viel, nehme mir wenig Zeit für mich selbst. Meine Stimme höre ich fast nur, wenn ich spreche. Selten atme ich wirklich ruhig und konzentriere mich nur nach innen. Ich esse zuviel Mist, der definitiv Krebswachstum fördert.  Seit Jahren mache ich ausser Kiten praktisch keinen Sport. Ich rauche zuviel und bin oft zu wenig an dem Ort, an dem ich verweile. Es gibt viel zu tun.

Freu mich ab September auf alle Leut, die mich zu mehr Bewegung animieren! Kiten, Volleyball, Badminton, Yoga, Schwimmen, Kampfsport, Snowboarden u.v.m. …

b
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4 Kommentare

  • georg schreibt am Sonntag, 21.8.2011 um 19:31 Uhr:

    ok: oktober wandern? warad ur nett :-) so mit viel frischer luft, sensationeller aussicht, übernachten auf der hütte und früh schlafen gehen….
    hoffentlich heilt die wunde bald richtig! paß auf dich auf frank!
    baba
    verena + georg

  • Ralph Meinhold schreibt am Donnerstag, 25.8.2011 um 19:28 Uhr:

    Gute Besserung auch von meiner Frau und mir!

  • maichie schreibt am Dienstag, 30.8.2011 um 14:25 Uhr:

    hey fränkchen, ich schick dir ein poly-lob!
    vor allem fürs stark sein (das warst/bist du wohl wirklich!); und auch fürs schwach sein können und das zeigen können (denn dein ehrlicher zynismus beweist einen liebenwerten weichen kern.). und dann ein lob für deine echt feine schreibe (und das will bei dem topic was heißen!!)… => 3x lob (ganz der pädagog) + mitgefühl/mitfreude über die entwicklung/perspektive = viel energie für dich, denn die wirst du weiter brauchen können…
    alles weitere lass uns mal bei bier o.ä. bereden.
    machs gut.
    michi

  • Karin Woelky schreibt am Dienstag, 27.9.2011 um 18:47 Uhr:

    du bist einzigartig und mein sohn. du bist stark und wirst es bleiben. ich bewundere dich. ich bin nicht so stark. alle kraft und stärke der welt für alle, die krebs haben, besonders für dich. ich bin sehr stolz auf dich. mom

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