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Warten in der Maschine

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2011
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Am nächsten Morgen gehe ich in die Maschine. Die Sonne erhebt sich. Ich halte ihr mein Gesicht auf dem Weg nach Osten entgegen. Ich bin ruhig. Meine Aufgabe ist: gehen. Am Empfang bin ich eine halbe Stunde zu früh. Andere Patienten sitzen auch schon da. Die mit dem schweren Weg haben Begleiter. Ich bin froh, alleine hier zu sein.

Nur 48 Stunden nach der ersten Diagnose und satten 15 Minuten Gespräch mit Ärzten hatte ich reichlich Zeit, mich über verschiedenste Quellen selber zu beunruhigen. Ich bin sehr dankbar, als auf einmal eine alte Freundin vor mir steht. Früher war sie Schreinerin, jetzt ist sie Ärztin im PJ. Vielleicht kann sie mir mal ’ne neue Klöte schnitzen. Sie ist der erste Arzt, der mich beruhigt. Die anderen bisher waren emotional drei Grad unter Cyborg.

Die zweite gute Ärztin folgt direkt darauf in der Aufnahme. Obwohl sie echt gut ausschaut hab ich keinerlei Angst, beim letzten Ultraschall vor dem OP einen Steifen zu kriegen. Der Blick auf 75% Tumor-Volumen im rechten Klöten reicht vollkommen aus. Die weiteren Beurteilungen ebenso. Rechts ist wahrscheinlich eh nichts mehr fruchtbar, und links ist verkleinert. Butthead wird nachher rausgeschnitten, und Beavis hat’s wohl eh noch nie gebracht. Das Recht auf Fortpflanzung ist krankenkassentechnisch betrachtet kein Grundrecht. Man muss dafür 400 Euro im Jahr zahlen, wenn man seinen Samen einfrieren lassen möchte. Ich seh’s positiv: meine Einzigartigkeit wird wohl auch in Zukunft gewahrt bleiben.

Rauf auf die Station. Die Maschine saugt mich ein. Strümpfe, OP-Hemd, hier ist der Rasierer. Bei meiner Blinddarm-OP mit 18 hat das eine echt hübsche Praktikantin gemacht. War mir nach einer Weile peinlich. Hier geht die Gefahr gegen null – gleich aus zwei Gründen: 140kg Krankenschwester und die Tatsache, dass ich mir mit dem Rasierer alle zehn Sekunden einen schönen blutigen Schnitt verpasse. Weisses Leiberl, ade…

Die Prä-OP-Tabletten hauen mich erst mal zwei Stunden flach. Am frühen Nachmittag kommen meine Eltern. Es ist noch nichts geschehen. Mein OP ist drei Stunden überfällig. Ich schicke sie zusammen mit Uli zum essen. Lese, Glotze und bin eigenartig gefasst. Gegen fünf weise ich den fränkischen Pfleger darauf hin, dass ich nach 22 Stunden ohne Futter in der Regel wegen Unterzucker zu so etwas wie Hulk Hogan auf Crack mutiere – und dann zu mehr oder weniger dezent ausfallenden verbalen Entgleisungen neige. Das macht ihm anscheinend solche Angst, dass ich 10 Minuten später Dextro Erogen krieg und nach weiteren 30 Minuten die Meldung, dass der OP heute nix mehr wird.

Ich werde in den Kneitinger-Biergarten entlassen. Die Sonne scheint. Das Radler und die Haxn schmecken und schlagen ein wie ein Bombe. Mein Gedanken sind gut, also geht’s mir gut. Ich freue mich über die Gesellschaft meiner Eltern und Freundin. Von einem befreundeten Biologen versuche ich via SMS einen vergünstigten Spermien-Froster-Platz im Guerilla-Style zu ergattern. Meine Hoffnung, wenn erst mal beide Klöten flöten sind, könne man wenigstens auch beim Blowjob kommen, ohne danach Schuldgefühle wegen fehlendem Kirscharoma mit sich rumzutragen macht er leider zunichte.

Abends geht’s wieder in die Klinik. Ein Film mit Uli und Handhalten bis es weh tut. Es tut so schön weh. Uli geht heim. Ich schreibe wieder gegen die Angst in der Maschine und gegen das Vergessen. Hinter dem Bettgestell ächzen leise erste dunkle Gedanken, und die feige Hoffnung verpisst sich wie gewohnt mit dem letzten Sonnenlicht. Ich schalte das Licht ein.

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Ein Kommentar

  • effektlabor schreibt am Sonntag, 14.8.2011 um 15:36 Uhr:

    Ich komme mir fast schon ein bisschen schäbig vor, wie oft ich bei diesem doch schweren Thema lachen muss. Aber Deine Schreibe fordert es auch wahrlich heraus! Du bist stark Frank, Du schaffst das!

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