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Dresden

Post
#351
1608
2010
Mo
21:18
Tag
1165
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Fragt mich nach dem schönsten Wasserfall von Fiji! Fragt mich mich, wo in der Dominikanischen Republik die Meeresschildkröten um die Wette schwimmen! Fragt mich nach dem besten von 92% aller Gyrosstände auf Rhodos! Fragt mich nach dem schönsten Vulkan Neuseelands! Aber wenn mich ein Couchsurfer fragt: "Welche Stadt in Deutschland soll ich besuchen?": Steh ich einfach da wie Ochs vorm Berg.
 
Für die Generation Blog ist wohl kein Fleck auf der Landkarte weißer als das Heimatland. Nach langer Überlegung muss ich mir eingestehen, gerade mal drei Städte in Deutschland gut zu kennen. Das muss geändert werden. Ein Kunde ruft mich nach Sachsen. Der Nachmittag und Abend gehören Dresden.
 
Irgendwas schönes gibt es überall. Wer das nicht glaubt, soll einfach weiter "Die Auswanderer" glotzen und in den Sessel pupsen. Ins Auge stechen immer nur die Sachen, die anders sind. An gleichem rennt man blind vorrüber, und haut sich dann auch noch den Schädel an der nächsten Ampel an. Man blickt nach oben, sieht das etwas andere Ost-Ampelmännchen und wertet es selbstgerecht als Bestätigung der eigenen Weltanschauung in Form stechenden Schmerzes knapp neben dem Auge.
 
Mein Hostel liegt in der Neustadt. Die Neustadt ist das Kings Cross von Dresden. Headshops, Ökoshops, Kneipen, Restaurants und alternative Kunstszene. Der einzige Unterschied zu Kings Cross sind die inexistenten Millionärsvillen mit ihren unauffällig angebrachten "Trespassers will be executed" Schildern. Kneipen prügeln sich um das Recht des geilsten Namens: Planwirtschaft, Schnurz und Mondpalast machen das Rennen. Der Rest ist ein bunte Mischung aus alt, neu und postkommunistischer Parkplatzvergabe: Jeder zahlt immer und überall.
 
Mir fällt auf, wie tot die ganzen Renovierer meine Heimatstadt gemacht haben. Alles neu, alles sauber, alles teuer. Und alles gleich. Daheim ist Architektur eine Gleichung. Hier geht sie nie auf. Die Spannung dazwischen lebt. Ich ziehe los Richtung Altstadt. Doch sobald ich die Neustadt verlassen habe wird alles langweilig: Alt, renoviert, überlaufen und dazwischen in extremen Körperverrenkungen manisch knipsende japanische Godzilla-Klone.
 
Kurz: Sächsischer Landtag. Unerklärlicher spontaner Radeberger-Trinklustanfall vor der Semperoper. Die komplett rekonstruierte Friedenskirche. Zwinger. Konzert im Park. Konsum im Konsum. Das schönste heute waren eindeutig die gehäkelten Landschaftsidyll-Vorhänge eines Fensters in der LPG meines Auftraggebers. Alleine das war den Weg wert.
 
Abends eine Falafel im Habibi und die Angst vor der Nacht: Mein 10er Dorm grenzt direkt an die Küche für 40 Bewohner. In selbiger stehen 50 leere Flaschen. Um drei kommt die illustre Runde nach Hause. Zwei Mann und zwei Frauen. Suffkinder. Ich vertecke mich links oben im Bett in Erwartung des Unvermeidlichen. Dann fällt mir ein, dass ich in keinem Stockbett liege. Niemand wird heute mehr über mir vögeln.
 
Am morgen gehe ich still und leise. Ich intoniere kein Deutschlandlied süßsauer auf meiner extra für Strafaktionen mitgeführten Vuvuzela. Ich schmeiß noch nicht mal aus Versehen den Stahlspind um, und ich stürze ebensowenig zufällig beim Anziehen mit meinem Ellbogen auf eine Alkoholleiche. Irgendwas fehlt mir…
 

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