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Jerusalem

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2017
So
22:17
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Zwei Franzosen begleiten mich auf der Fahrt durch das Gebirge der Westbank nach Jerusalem. An einer massiven Betonmauer winkt uns der erste Checkpoint durch. Fast alle Einfallstraßen Richtung Zentrum sind gesperrt. In den letzten Wochen wurden mehrere Israelische Polizisten ermordet. Die Reaktion war ein Zutrittsverbot auf den Tempelberg für alle Muslime unter 50 und Metalldetektoren für alle darüber.

Daraufhin kam es zu massiven Ausschreitungen mit einigen Toten und 400 Verletzten. Schon auf der langen Parkplatzsuche weit außerhalb fallen mir Massen an Militär und Polizei auf, immer in Fünfergruppen. Auf dem Weg zu meinem Hostel mitten in der Altstadt komme ich am Sabbat auch an ein paar Hundertschaften vorbei.

Der erste Shwarma-Döner mit Coke schlägt zu schlappen 25 € im Magen ein. Das Citadel Hostel bietet eine wirklich einmalige Dachterrasse mit Blick auf die gesamte Altstadt und den Felsendom in einem 700 Jahre alten Gebäude. Der Rest ist eine einzige Katastrophe. Bettwanzen in dreckigen Matratzen und Decken blasen ab drei Uhr zum Sturmangriff. Um vier jodeln die Muezzine von den Minaretten um die Wette. Um fünf schlagen die Kirchenglocken zum Gegenangriff. Ab sechs scheitern mehrere Abreisende daran, jedes Kleidungsstück einzeln langsam in Knisterplastiktüten zu verpacken.

Das Citadel Hostel hat gerade mal zwei dreckige Miniduschen und 16 Locker für 50 Gäste. Keiner ist frei für mich. Es fehlt an den minimalsten Standards: saubere Küche, Stühle, Geschirr, Aschenbecher, Essbereich zu klein, dreckige Klos, versiffte Dorms. Ja, das Hostel liegt in der arabischen Altstadt, und in solchen habe ich in vielen Ländern gewohnt. Ja, ich habe Gargamel in Schlumpfhausen erwartet. Aber nicht, daß man weder im sitzen kacken noch im stehen pinkeln kann, und auch 8 Betten auf 8m² ist mehr als herb. Auch ein “We clean the sheets every week” ist keine angemessene Reaktion auf einen Bettwanzen-Hinweis. Internet-Bewertungen zählen nur wenn das Schwein den Stall bewertet, so auch auf Hotelworld.com.

Auch am zweiten Tag ist kein Locker frei, also ziehe ich mit 8kg Elektronik ungeduscht vier Stunden ab sechs Uhr auf Morgentour durch Jerusalem. Ich habe wirklich nichts gelesen. Jeder weiss, daß Jerusalem wenigstens 1000 Jahre heftig umkämpft war. Ich hatte daher weder erwartet auf so viel intakte Festung zu stoßen, noch auf eine lebendige Altstadt, komplett mit Märkten und weißen verwinkelten jahrhunderte alten Kalkstein-Gassen.

Schwer begeistert versuche ich vergeblich durch zwei verschiedene Checkpoints zum Tempelberg zu gelangen. Am dritten wird mein Rucksack in seine atomaren Bestandteile zerlegt und ich bin durch. Ich frag mich ernsthaft, warum den Juden heute eine 2000 Jahre alte Tempelmauer so wichtig ist, daß sie dafür Kriege führen. Ab 70 n. Chr. bis 620 n. Chr. stand der Tempelberg leer. 550 Jahre, und keiner wollte was bauen. Warum heute streiten?

Am Nachmittag wundere ich mich erst über die Zielfreudigkeit der jungen Palestinenser, die immer direkt vor die Stiefel der zahlreichen Israelischen Soldaten spucken, wenig später über einen größeren Auflauf von Muslimen zwischen dem Löwentor und dem Tempelberg. Ich stromere weiter an zahlreichen Absperrungen vorbei durch entlegene Viertel und weit aus der Altstadt hinaus, um eine letzte Flasche Schreib-Wein unter 25 Euro zu finden.

Nachts sitze ich mit einer guten internationalen Schar auf der Dachterrasse. Es knallt einen Kilometer weiter. Zuerst vermuten wir ein Feuerwerk. Aber das Feuer fehlt. Die Granatexplosionen kommen genau von da, wo ich wenige Stunde zuvor unterwegs war.

Google scheitert an der Übersetzung der arabischen Megaphonstimmen. Hubschrauber kreisen über Fledermäusen. Polizeisirenen heulen aus allen Richtungen. Jersualem ist keine Stadt des Friedens, wie promotet. Hier ist jetzt und heute wieder mal Krieg.

Es ist so einfach, das alles nicht verstehen zu müssen, wenn man keiner Religion angehört. Und es fördert radikale Gedanken. Die Fischer von Fukushima kämpften um nichts mit niemandem. Der Supergau versaute ihnen auf ewig das Leben. Hier kämpfen die “Gläubigen” seit tausenden von Jahren um Land das keiner wirklich braucht. Jerusalem wäre der perfekte Platz für einen Supergau. Ich fliege heim. Und das Land weiter in die Luft.

Israel und Palästina waren einmalig, heiss, schweineteuer und bunt dank Reisenden aus aller Herren Länder. Oft verwirrend, meist sehr fordernd, gerne ignorant, introvertiert und verschwenderisch. Wunderschön, hoch und tief, verstörend und unbegreiflich. Es war eine schwere Reise. Aber eine wertvolle.

Altstadt Jersualem
Christliches Viertel
Innenhof Altstadt Jerusalem
Ausgrabungen hinter dem Tempelberg
Souk im Muslimischen Viertel
Klagemauer
Ostwand Tempelberg, Muslimischer Friedhof
Zacharias Grabmal am Olivenberg
überall Polizei nach den letzten Ausschreitungen am Tempelberg
DSC07305
Jersualem @ night


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