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Die Mysterien von Trapani sind gelöst!

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2022
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Die Mysterien von Trapani sind eines der bedeutendsten christlichen Feste Siziliens. In einer 24-stündigen Prozession tragen hunderte von Gläubigen am Karfreitag 14.00 Uhr zwanzig bis zu einer Tonne schwere Heiligenfiguren durch die Altstadt von Trapani. Begleitet werden sie von zahlreichen großen Blaskapellen.

Wir kommen rechtzeitig zum Beginn in der Altstadt von Trapani an und sind vor allem wegen dem Sound sofort hin und weg. Die erste Kapelle scheint die Titelmusik des Paten zu spielen. Ein langsamer Jesus-Rave in Moll beginnt mit Märschen um die 70 BPM. Die Träger schwitzen trotz kühlem Wetter ab der ersten Minute. Die Mysterien von Trapani sind die Essenz des auf Sizilien noch mächtiger als in Bayern zelebrierten Katholischen Glaubens.

Alles ist genau choreographiert, traurig und leidvoll-pompös. An der ersten Ecke steht ein Mafiosi par excellence. Mit Sonnenbrille, noblem Kaschmir-Mantel und nach hinten gegelten Haaren achtet er penibelst darauf, dass seine dicke Rolex nicht von Sakko oder Mantel verdeckt wird. Dazwischen scheint er immer wieder das strahlend weiße Lächeln in seinen hochglanz-gewienerten Edel-Latschen zu kontrollieren. Lachen muss reichen. Ein Foto könnte Probleme machen. Erst Tage später erfahre ich, dass Trapani tatsächlich eine absolute Mafia-Hochburg ist. Der Stadtrat kooperiert nicht mit der Mafia. Er ist die Mafia.

Die erste Figur zieht vorüber. Glauben ist nicht Wissen, daher fotografieren alle um sicherzugehen. Die fast ausschließlich männlichen Träger ächzen unter der schweren Last. Ihre Augen scheinen stets in den von den Besuchermassen gut gefüllte Gassen der Altstadt etwas zu suchen. Mysterien eben. Auf jeweils ca. fünf Minuten schwankendes Schreiten im Takt zur Musik mit gegen die Marschrichtung drückendem Duce folgen stets  Italienische Castagnetten. Pause. Absetzen. Kurz durschnaufen. Wieder Castagnetten. Aufschultern. Dann folgt ein kurzer Sprint. So zieht sich das den ganzen Tag hin.

Die Mysterien von Trapani werden seit dem 17. Jahrhundert zelebriert. Sie sind damit älter als die Mafia, deren Ursprünge bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückreichen. Vendetta, Omerta und weitere Sizilianische Schweinereien fallen somit als Grund der notwendigen Bußgänge flach. Nirgends fand ich Informationen darüber, was der ursprüngliche Sinn der Mysterien von Trapani war. Heute heißen sie vermutlich genau deswegen Mysterien. Keiner weiß warum. Keiner?

Ein Kiter aus dem Norden löst hier und heute die Mysterien von Trapani. Nach fünf Wochen und gut 3.000 km über jede erdenkliche Straße und unerdenkliche Piste Westsiziliens bleibt als Grund für notwendige Buße nur eines: Sizilianer sind die beschissensten und aggresivsten Autofahrer der Welt. Bei Punkt eins hilft Übung. Oder auch nicht. Punkt zwei kann nur durch Buße abgegolten werden.

Es ist die Frage nach Huhn und Ei, was zuerst da war: die idiotisch niedrigen Geschwindigkeitsbeschränkungen. Oder die Vollpfosten die generell jedes Schild ignorieren. Ich war schon in vielen anderen Regionen Italiens unterwegs. Es ist in der Tat kein Stereotyp, dass Italiener schlechter und schneller fahren. Es ist die Wahrheit. Doch eine derartige Ignoranz jeglicher Regeln gepaart mit heftigsten Aggro-Attitüden wie hier auf Sizilien kam mir weltweit noch niemals unter.

Ich bin kein großer Fan von Regel. Ich lebe gut in Grauzonen oder auch mal auf der dunklen Seite der Macht. Absenz jeglicher Führerschein-Ausbildung wie auf den Philippinen oder keinerlei Regeln und Schilder wie in der Dominikanischen Republik amüsieren mich in der Regel. Hier bin ich gestresst sobald ich ins Auto steige. Auf Sizilien gibt es Regeln und Schilder. Manche sind idiotisch, aber die meisten sinnvoll. Keines wird je beachtet.

Ich fahre unsere kleine Gasse runter Richtung Kitespot. An der Hauptstraße rammt mich beinahe ein Truck von links mit fast 100km/h im Stadtgebiet. Nur zwei Kilometer weiter habe ich an der nächsten Kreuzung Vorfahrt. Trotzdem halte ich jedes mal an, denn von rechts oder links sehe ich hier jeden Tag massig Idioten über die beiden Stoppschilder rasen. Wehe dem der es wagt anzuhalten! Du stehst noch nicht mal ganz, dann hupen schon zwei Vollpfosten von hinten im Duett. Am vorletzten Tag wird hier ein Auto gerammt.

Sizilianer hupen gerne und häufig. Manch einer behauptet es wäre eine Sprache. Ich verneine das. Es sind Brunftschreie. Ihre Urheber haben in der Regel sehr kleine Schwänze und einen Mamakomplex. Sie kommen an keiner Einmündung auf eine Hauptstraße darum herum, selbst ältere Mitglieder des eigenen Rudels mit permanentem Hupen in inexistente Lücken zwischen dem dichten Verkehr der Vorfahrtsstraße zu jagen.

Auf Autobahnen solltest du trotz vieler Blitzer und recht hohen Strafen immer mindestens 25% über dem Limit fahren. Mit weniger riskierst du einen Einschlag von hinten. Aber auch deutlich mehr schützt dich nicht davor, dass eine lichthupende Rakete dich bedroht und versucht  mit der Hupe nach rechts zu blasen. In Deutschland wäre ein durchschnittlicher Sizilianer binnen 15 Minuten seinen Führerschein los. Hier fahren sie einfach dichter auf um das Nummernschild im nächsten Blitzer zu verdecken. Ein Meter Abstand bei Tempo 100 erzeugt schließlich weniger Deformations-Energie als 20 Meter.

Dannazione eterna nel purgatorio della concupiscenza per voi, automobilisti Siciliani!

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