Freund Tom und meine Frau besuchen mich auf Sizilien. Der erste gemeinsame Tag bietet guten bockig-starken Scirocco und einen strahlenden kühlen Sonnentag am Strand. Ich bin insgesamt fast drei Stunden draußen beim kiten. Tom hat in den vier Jahren seit seinem Anfänger-Kitekurs in Ägypten leider viel verlernt.
Bei seiner Schulung merke ich zum ersten mal was für eine höllisch sportliche Leistung die Kitelehrer hier erbringen. Das dutzende Male „schnell 100m dem Schüler hinterherlaufen“ ist in bis zu 30cm tiefem weichen Morast tierisch anstrengend und frustet auch Tom.
Für die nächsten fünf Tage legt sich der Wind schlafen. Wir touren über Westsizilien. Salemi liegt im Zentrum der Insel gerade mal 25 km Luftlinie von Lo Stagnone entfernt. Dank unzählbaren tiefen Schlaglöchern auf den Landstraßen durch das Hinterland braucht man dafür trotzdem eine dreiviertel Stunde. Unzählige wilde Müllkippen reihen sich über Kilometer zu beiden Seiten aneinander. Der Wind verteilt den ganzen Plastikmüll in den Weinfeldern. Der Müll scheint das letzte Geschäftsfeld der Sizilianischen Mafia zu sein. Er macht traurig.
Manchmal verwandeln sich die Landstraßen des Hinterlandes in schlammige Pisten mit 20cm tiefen Spurrinnen und großen Steinen. Einzig auf den erbärmlichsten Schotterpisten darfst du ab und an 90 km/h fahren – auf guten Landstraßen ist fast immer bei 50 km/h Schluss. Ich liebe offroad – aber bei bis zu fünf Stunden super konzentriertem Schlagloch-Slalom am Tag bin ich Abends meistens recht platt.
Salemi liegt auf einem 450m hohen und zu einer Seite steil abfallenden Berg. Die verfallenden Häuser der Altstadt krallen sich in die Hänge. Jedes zweite Haus steht zum Verkauf. Als einzige Touristen führt uns ein Straßenhund über eine Stunde durch die engen steilen Gassen der Altstadt. Ganz oben steht eine Burg aus dem 13. Jahrhundert. Ein halbes Kirchenschiff ohne Dach leuchtet rot im Sonnenuntergang. Die Römer haben Salemi gegründet. Die Araber haben es erobert. Die Bourbonen haben sie vertrieben. Heute scheint Salemi von allen verlassen worden zu sein.
Tags darauf kündigt sich überraschend doch nochmal guter Scirocco an. Wir fahren an den an der Südküste gelegenen Wavespot Puzziteddu. Vom angekündigten Sturm kommt nur wenig über die heute bis zu zwei Meter mächtigen Wellen an. Ein paar Locals spielen im schwachen Wind mit den Brechern. Bei mir ist irgendwie die Luft raus von den vorangegangenen fast zwei Stunden Schlaglochrallye im Hinterland.
Wir fahren noch eine halbe Stunde weiter zu den Ausgrabungsstätten von Selinunte. Die sind ein absoluter Volltreffer. Das Gebiet ist derart groß dass viele Besucher einen Transfer-Zug auf dem Gelände zubuchen. Wir laufen begeistert einige Kilometer durch 2600 Jahre Geschichte. Ich war in vielen Ausgrabungsstätten rund ums Mittelmeer. Viele sind überlaufen und die meisten für das was zu sehen ist (Steine auf der Wiesen) überteuert.
In Selinunte ist das anders. Als westlicher Vorposten der Griechen auf Sizilien im 7. Jahrhundert v. Chr. gegründet blühte die Stadt gerade mal 200 Jahre unter steter Bedrohung durch die mächtige Sizilianische Stadt Segesta. Ungeschickte politische Bündnisse führten 409 v. Chr. zur vollständigen Zerstörung durch die Karthager. 16.000 der 25.000 Einwohner starben in nur 10 Tagen Belagerung.
Die siegreichen Karthager bauten Selinunte zwar wieder auf, aber es erreichte nie mehr seine ursprüngliche Größe. Ob es nun 250 v. Chr. endgültig von den Römern oder später durch einen Tsunami zerstört wurde ist bis heute umstritten. Ich tippe auf die Römer. Die wichtigsten Tempel liegen ca. 40 Meter über dem Meer.
Ab 1925 wurden zahlreiche Gebäude ausgegraben und zwei der vielen Tempel in großen Teilen wieder aufgestellt. Mit 50 mal 110 m war der Tempel des Zeus einer der drei größten je von den Griechen errichtete Tempel. Er liegt in Trümmern nahe des Eingangs. Selbst auf dem Boden ist er noch sehr beeindruckend.