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Salar de Uyuni

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1212
2017
Di
18:41
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Uyuni ist der staubige 18.000 Einwohner zählende letzte Grenzposten vor der 12.000 km² großen Salzwüste Salar de Uyuni. Wir kommen nach Mitternacht an. Bis zum Morgen reisen ständig Leute aus dem Dorm ab oder fallen tot ins Bett.

Tags darauf warte ich vergeblich auf einen im Wind treibenden Dornbusch zwischen zwei Duellanten. Mit Reisefreund Francesco greife ich mir super past minute die letzten freien Plätze in einem der über 50 jeden Tag in den Salar de Uyuni aufbrechenden Jeeps.

Am Rande von Uyuni gibt es einen Friedhof voller 150 Jahre alter Zug-Leichen aus den goldenen Zeiten des Silbernitrat-Abbaus. Der Stamm der Colchani betreibt ein paar Kilometer weiter einen kleinen Kunsthandwerkmarkt.

Danach geht es mitten rein in den Salar de Uyuni. In der Regenzeit steht hier überall das Wasser einige Zentimeter hoch. Ein paar Franzosen rippten den Salar de Uyuni sogar schon mit ihren Kites. Bei 50% Salzgehalt blieb sicher kein Edelstahl rostfrei. Der halbjährliche Wechsel zwischen Regenzeit und Trockenheit unterteilt die Ebene in irre Puzzlestücke mit nach oben wachsenden Salzkristallen am Rand.

Mitten im Salar de Uyuni steht ein Hotel, gebaut nur aus Salz. Die internationale Masse hampelt auf der Jagd nach dem besten Bild durch die Gegend. Einzig ruhige Bilder ohne Menschen sind schwer zu erlegen zwischen den 50 Jeeps.

Warum sind eigentlich immer die hässlichsten Menschen am allerschärfsten darauf, die schönsten Naturszenerien mit ihrem Antlitz zu versauen? Und warum sind sie immer gleich auf 180, wenn mann sie ganz freundlich darauf hinweist, daß ihre auf Idiotenposen montierten Hackfressen viel besser mit der Rückwand der nächsten Örtlichkeit harmonieren würde? Welt! Eröffne sie sich meiner!

Das Tagesziel liegt 130 km von Uyuni entfernt auf der anderen Seite der Wüste. Ich döse bei über 100 km/h auf Salz weg. Zwischen den Ufern der Salzwüste und dem Vulkan Tunupa liegt das kleine gleichnamige Dorf. Freie Lamas grasen auf den Wiesen vor dem Salar.

Unsere Unterkunft ist komplett aus Salz gebaut, sogar der Zimmerboden ist zentimeterdick mit grobem Salz bedeckt. Auch der Zucker für den auf 3.600 m dringend benötigten Coca-Tee  schmeckt salzig.

Guter Wind zieht über die letzten kleinen 10 cm-Pfützen der vergangenen Regenzeit am Salar de Uyuni auf. Ich bin zu platt zum kiten. Die Höhenkrankheit ist der Akklimatisation auch nach fast zwei Wochen noch nicht ganz gewichen. Ein einsamer Flamingo fischt in der untergehenden Sonne. Die ganze Welt verdoppelt sich in spiegelglattem Wasser, und der Vulkan packt seine Sonntags-Farben aus.

Nachts träumt mir, ich würde in einem Bett voller Sterne schlafen. Am Morgen stelle ich fest, daß es kein Traum war. Zwischen Laken und Matratze haben sich ein paar Salzkörner verloren. Fährt man mit der Hand drüber, phosphoriszieren sie kurz grün in der Nacht wie Sternschnuppen. Ich hole 12 Stunden lang den verpassten Schlaf einer Woche zwischen gefallenen Sternen nach.

In dieser Höhe verbraucht der Körper doppelt soviel Kalorien. Bewusst wird mir das erstmals, als der Jeep für den zweiten Tag etwas zu spät kommt. Zuckerwasser ist ausverkauft und das Mittagessen kommt erst nach sechs Stunden – gerade noch rechtzeitig, um Gargamel von einem unterzuckerbedingten Amoklauf abzuhalten. Der Körper kennt hier nur zwei Zustände: Hunger oder müde. Dazwischen ist einzig dünne Luft.

Am zweiten Tag gibt es in den endlosen Weiten der Salzwüste nur einen Halt: die mit riesigen Kakteen bewachsene Isla Incahuasi. Ein Motorradheini heizt sysiphös von links nach rechts um ja auch alle Massen zum zahlungspflichtigen Eingang zu geleiten. Salzmeer-Inseln einsperren ist ein schwerer Job.

Auch das nächste einfache Hotel in Puerto Chuvica ist wieder komplett aus Salz gebaut. Wir sind am Ende der Welt. Strom und Warmwasser gibt es – zumindest theoretisch, und natürlich nur solange es überhaupt Wasser gibt. Im Esszimmer verbietet ein Schild den Einsatz von Dynamit – skandalöserweise sogar inclusive der näheren Umgebung.

Höhenkrankheit ist eine Kombination aus defekter Motorkopfdichtung, Hangover, Montezuma und Asthma. Zehn mal in der Nacht Wasser nachschütten hält die Kehle davon ab zusammzuwachsen.

Am Horizont zucken stille Blitze aus mächtigen Wolken. Millionen von Sternen strahlen aus dem kristallklaren Himmel darüber. Der Schäferhund des Hotels scheitert bei dem Versuch, jeden einzelnen aus dem Himmel zu bellen. Gegen vier Uhr gehen ihm und seinen Deutschen Motzer-Genen die Luft aus.

Am dritten Tag starten wir in einen gigantischen Sonnenaufgang. Nach zwei Stunden verlassen wir den Salar de Uyuni und wechseln auf kernig felsige Sandwüsten-Trails. Salzwüsten sind auch mit tiefergelegten Schlampen-Schleudern problemlos befahrbar. Ab jetzt braucht es wirklich 40 cm Bodenfreiheit unter 4WD.

Der Trail führt immer deftiger werdend bis hinauf auf 4.300 m, vorbei an einem aktiven Vulkan, Sandhosen und vier hochalpinen Salzseen voller Flamingos. Ein Teil der Strecke sind alte Minenwege. Schilder zählen die Kilometer bis zur Chilenischen Grenze runter und begründen, warum sich Chile und Bolivien heute gar nicht gut verstehen: die Bodenschätze wanderten früher alle über dreckige Deals nach Chile.

Nach knapp acht Stunden Rockerkiste schaut mittags im Inca Canyon auf 4.000 m bei angenehmen 20°C ein furchtloser Felsenhase bis auf Handbreite zum Futterschnorren vorbei. In der Sandwüste dahinter äsen Strausse vor Regenbogen-Bergen direkt neben der Piste.

Den ersten kleinen Motorschaden am Vormittag konnte unser weiser Fahrer mit 30 Jahren Wüstenerfahrung noch schnell beheben. Der zweite Motorschaden am Nachmittag ereignet sich locker 80 km hinter der letzten kleinen Siedlung in einem windigen und endlos weiten Hochtal. Wilde Vicuñas ziehen vorbei. Mit Hilfe zweier weiterer Jeeps ist der Schaden nach einer halben Stunde behoben. Den dritten kurz darauf bekommt der Fahrer wieder selber schnell hin.

Im nahen Arbol de piedra hackt der Wind mit 35 bis 40 Knoten. Die Steine sagen: häufig. Bis auf zwei Meter Höhe haben Wind und Sand die vulkanischen Felsen in Jahrtausenden zu Bäumen geschliffen.

Die Laguna Colorada auf 2.600 m strahlt nur bei starkem Wind und Sonne in vollen Farben. So wie heute. Ihre Farben erhält sie durch Bakterien. Da sie die einzige Lagune hier oben ist, die nie zufriert, überleben die Bakterien auch den Winter. Sterben die roten Bakterien ab, werden sie schwarz. Genau nach denen fischen hunderte von Flamingos – und werden wieder rot.

Tagesziel ist ein Hostal nahe der Lagune inmitten stürmischer Mondlandschaft. Es gibt nur kurz Strom und zwei eiskalt-Waschbecken für 20 Gäste. Mehr braucht’s aber nach der zehn-Stunden-Tour auch nicht.

Der letzte Tag beginnt vor vier Uhr Nachts in bitterer Kälte. Eine Supernova spielt im Osten freudig Farbwechsler zum Beladen des Jeeps. Die Milchstraße hat Rush Hour.

Noch vor Sonnenaufgang erreichen wir ein brodelndes Geysirfeld auf 4.700 m. Schilder warnen vor dem Betreten. Sie sind wie alle Schilder in Bolivien: stehen halt so rum.

Die Sonne geht auf zwischen schneebedeckten Vulkangipfeln. Jeeps weiter unten ziehen kilometerlange Staubfahnen hinter sich her.

Aus den Thermalquellen an der nächsten kommt Francesco gar nicht mehr raus. Vögel attackieren mich, als ich aus Versehen in ihr Brutgebiet eindringe. Das Wasser sprudelt aus 100 kleinen Quellen. An der einen dampft es, einen Meter weiter ist es gefroren.

Einige Döser Mondlandschaft später sind wir am Ende der Reise angelangt. Die Laguna Verde liegt auf 4.400 m und war seit Monaten mein anvisiertes Hochgebirgs-Kiterevier. Haut leider nicht hin. Erstens liegt sie gerade noch im Nationalpark. Zweitens fragt der gute Fahrer übereifrig beim Ranger nach, wo man hier am besten einen Kite starten könnte. Der Ranger ist wenig erfreut. Drittens gibt es auch hier Flamingos, und die sind garantiert weniger an Kiter gewohnt als die in Paracas. Wer es trotzdem wagen will: der Wind beginnt recht schlagartig um 12 Uhr und kachelt sich am Nachmittag auf über 40 Knoten rauf.

Die knapp viertägige Tour über 900 km Wüsten-Offroad kostet inclusive Eintritte ca. 150 Euro und führt durch unwirkliche wunderschöne abgelegene Gegenden Südboliviens zwischen 2.500 und 4.700 m. Die Unterkünfte und das Essen sind einfach. Wer Luxus will soll woandershin fahren, denn egal wie gut Jeep und Fahrer sind: bis zu 12 Stunden am Tag sind auch im sitzen hart. Die Entfernungen sind groß, die Foto-Stopps daher kurz und oft ziemlich überlaufen.

Ich verlasse Bolivien am südlichen Ende der Tour und ziehe am Grenzübergang nahe Laguna Verde mit dem staubigsten Kitebag aller Zeiten weiter nach Chile.

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