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Triglav

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2008
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Über 400km Landstraßen fahren wir den ganzen Tag von Losinj über Triest nach Norden. Im Sonnenuntergang dampft die Soca ins Tal. Wir dampfen neben ihr über den steilen Vrsic-Pass nach oben. Auf der Nordseite glühen die Berge. Unser Ziel ist die Aljazev-Hütte am Ende des Vrata-Tals im Triglav-Nationalpark. Das letzte Tageslicht. Ehrfürchtige Blicke nach oben, dort wo der Triglav in den Wolken verschwindet. Wir sehen nur seine untere Hälfte, und schon die schaut unbezwingbar aus.

Das Abendessen auf der Hütte ist einfach und deftig. Wir reduzieren unser Gepäck vor dem morgigen Aufstieg auf das allernötigste. Vor uns steht eine zweitägige Klettertour auf den mit knapp 2900m höchsten Berg Sloweniens. Ich falle ins Bett und schlafe wie ein Stein.

Wir brechen gegen Acht Uhr morgens auf. Der Pfad geht erst leicht ansteigend durchs Vrata-Tal bis an den Fuss der Nordwand des Triglav. Im Bett eines trockenen Wildbachs geht es dann über erste Kletterpassagen steil nach oben. Darüber schlängelt sich der Pfad in engen Kehren durch kniehohe Latschenkiefern weiter im 45 Grad Winkel. Erste Felswände sind größtenteils mit Stahlstiften gesichert.

Ich war schon auf einigen Bergen. Doch schon bald wird klar: noch auf keinem wie dem Triglav. Ich war Bergwandern. Das hier ist Bergsteigen. Das erste Mal schlottern meine Knie an fussbreiten Passagen in der fast senkrechten Felswand. Nur ein paar Meter lang, aber eben auch einige dutzend Meter nach unten. Den teils wackelnd im Fels verankerten Stahlstifte trau ich irgendwie nicht.

Nach ca. 700 Höhenmetern kommt die erste Schlüsselstelle. Eine 7m hohe senkrechte Wand versperrt den Weg nach oben. Gesichert ist sie gut mit Seil und Stahlstiften. Wir haben einen Klettergurt. Kein Problem meint Sabine, sowas hat sie schon oft gemacht, sie will die Wand ohne Klettergurt gehen.

Ich schaue die 50m Freifallhöhe vom Fusse der Wand nach unten und komme ins Zaudern. Es ist was anderes einer Frau die Tür nicht aufzuhalten, als sich ihren Klettergurt aufschwatzen zu lassen. Ohne Klettergurt schaffe ich das Stück nicht, es ist mein erster Klettersteig, meine Beine zittern vor Angst. Ich beschließe im Falle eines Falles Sabines letzte Worte auf ihrem Grabstein mit meinen Fingernägeln einzuritzen: “Nimm du den Klettergurt.”.

Oben wartet Sabine bereits grinsend: “Ganz einfach, oder?”. Ich schüttel den Angstschweiss aus meinem Gesicht und versuche das Zittern auf einzelne Körperteile zu reduzieren. Der erste von drei Kanten des alten Gletschers ist überwunden.

Es geht weiter durch karstiges Geröll und Fels steil nach oben. In den letzten grünen Flecken steht auf einmal ein Steinbock fünf Meter neben dem Weg. Wir halten still, er auch. Dann gräbt er wieder nach Wurzeln. Rundherum blühen Disteln, Teufelskrallen, Enzian und zahlreiche weitere unbekannte bunte Blumen.

Einige steile Wände auf dem Weg zum oberen Gletscherbruch sind wieder gut mit Stahlstiften gesichert. Das Zittern kommt immer wieder. Nach unten schauen ist nicht gut. Es geht einfach zu weit. Sabine trägt den größten Teil des Weges den Rucksack mit einem Viertel ihres Körpergewichts. Sie ist trotzdem viel schneller als ich.

An der Kante angekommen geht es über vom Gletscher blankgeschliffenen weissen Fels. Nach fünf Stunden kommen wir auf der Valentina Stanica Dom Hütte auf 2200m an. Essen und trinken reduzieren das Zittern. Wir schlafen den halben Nachmittag, essen nochmal in der Abendsonne und gehen früh ins Bett während die Slowenen unerschöpft noch lange weiterfeiern.

Der nächste Tag beginnt mit einem Aufstieg über 300m zur Triglavski Dom Hütte. Der Weg führt mit einigen kurzen Kletterabschnitten wieder über blanken weissen Fels. Es wird kalt, die Luft ist dünn auf 2500m. Wir werden langsamer. Auf der Hütte versichere ich mich nochmal über die Machbarkeit eines Gipfelaufstiegs ohne Klettergurt. Das Slowenische Fremdenverkehrsamt sagte: kein Problem. Der Hüttenwirt sagt: 90% machen es ohne.

Also gehen wir mit einem Klettergurt. Die erste Wand. Stahlstifte fast senkrecht nach oben. Gurt hilft hier eh nix. Dann eine heftige Kletterpassagen in der Wand bis zum Grat. Ich klinke mich mehrfach ins Seil ein. Sabine tanzt den Weg nach oben, ich zittere ihn. Auf 2800m führt der Pfad über einen langen Grat. Geniale mehrere hundert Meter hohe Freifallmöglichkeiten werden durch permanente Klettersteigseile abgemildert.

Der Gipfel des Triglav ist erreicht. Stolz, Sonne, und strahlen im blauen Himmel. Geschafft. Der Triglav ist ein slowenisches Nationalheiligtum. Jeder Slowene soll den Triglav einmal in seinem Leben besteigen. Erst einige Stunden später im Tal kapiere ich warum.

Auf dem Weg nach unten fällt das Klettern leichter. Wie die alten Opas und jungen Kinder hier ungesichert heraufklettern ist trotzdem Wahnsinn. Das sind keine Menschen, das sind Gämsen. Alles Gewöhnung, meint Sabine.

Von der Triglavski Dom Hütte geht es über das ehemalige Gletscherfeld wieder nach unten. Steile Kletterpassagen mit Seilen und Stahlstiften. Spitze Steine auf blankem Fels. Erschöpfung setzt ein. Wir rutschen beide mehrfach aus, bei jedem Sturz beissen die Steine zu. Der Weg ist sehr anstrengend, ich brauch immer häufiger Pausen, während Sabine trotz Rucksack immernoch Vollgas geht.

Der Rest des Weges wird zur Tortur. Wir brauchen insgesamt fast sechs Stunden für die 1800 Höhenmeter zurück zur Aljazev Dom Hütte. Meine Finger und Backen kribbeln über drei Stunden lang. Vollkommene Erschöpfung. Wasser, Magnesium und Müsliriegel helfen auch nicht mehr. Zittern an jeder Kletterstelle. Angst.

Weiter unten: Meine Knie knicken bei jedem Schritt nach hinten durch. Einige Bergsteiger sehen meinem Marionetten-Gang die Erschöpfung an. Sie geben mir Traubenzucker, was mich mit Müh und Not und Flimmern vor den Augen zurück zur Aljazev Hütte watscheln lässt. Ohne Sabine hätte ich den Weg nie geschafft.

Ich versteh jetzt warum jeder Slowene den Triglav einmal im Leben besteigen soll. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das einer zweimal schafft. Wir haben die Tour in zwei Tagen gemacht. Der Zweite Tag war der angsterfüllteste und anstrengendste meines Lebens. Es gibt Slowenen, die machen die gleiche Tour an einem einzigen Tag.

Weltweit hab ich für jeden Weg am Berg oder in der Ebene kürzer gebraucht als angegeben. Die Slowenischen Zeitangaben sind mehr als knapp. Am Triglav schaffen wir einen von vier Abschnitten in der vorgegebenen Zeit. Es ist, als ob die Slowenen Angst hätten, dass jede Sekunde wieder ein Krieg ausbrechen könnte. Schnell schnell rauf und runter, morgen gehört uns der Berg vielleicht schon nicht mehr!

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2 Kommentare

  • Carina schreibt am Sonntag, 24.8.2008 um 11:50 Uhr:

    Der helle Wahnsinn, was Du machst. Sabine wird das Klettern gewöhnt sein, denke ich. Wider ein Erlebnis, was tief prägt.

  • verena schreibt am Sonntag, 24.8.2008 um 17:10 Uhr:

    na da hast dir die definitiv beste und zähste bergführerin ausgesucht :-D pausen werden nicht geduldet! gratuliere frank! ich hoff du hast sabine mit der fotografiererei nicht so gequält wie ich das immer tue – aber sabi: das üben hat sich ausgezahlt!
    berg heil

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