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Revolution in Ägypten

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2011
Do
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In Ägypten herrscht seit Beginn der Revolution Ausverkauf. Auch nach anscheinend erfolgreich verlaufenem Ausgang ist kein Ende in Sicht. Eine Woche 5 Sterne Hotel gibt’s mit Flug für 260 Euro. Ich frag mich was besser ist: Wegbleiben und den Leichenschmaus nobel auslassen oder hinfliegen und wenigstens den verbliebenen 20% der Ägypter die Arbeit sichern.

Wir brauchen Sonne. Wir brauchen Wind. Wir entscheiden uns für letzteres. Ab Linz und Wien brechen wir spät Nachts auf nach Ägypten. Wir gehen ungecheckt durch die Passkontrolle am Flughafen. Es gibt einen Recall, aber einfach sitzenbleiben bemerkt auch keiner. Hurghada schaut in der Nacht von oben aus wie ein Weihnachtsbaum. Aber das täuscht. Ich war schon vor fünf Jahren hier.

Vom Boden aus betrachtet ist Hurghada ein strukturloser Moloch. Eine wüste Ansammlung niemals beendet werdender Bauruinen durchsetzt von vereinzelten Luxustempeln. Leere Läden, leere Restaurants, leere Bars. Alles ist leer. Die Welt hat anscheinend vor nichts mehr Angst, als vor einer besseren Zukunft für Ägypten. Wir steigen am dicksten Luxus-Tempel aus und betreten ein Zimmer aus 1001 Nacht.

Astrid und Tobi steigen im Nebenhotel ab. Das Grand Hotel ist wohl das einzige Hotel, das auch in Zeiten der Revolution ganz gut gebucht ist. Insgesamt fehlen ca. 75% aller Touristen. Hier nicht, denn die großen Reiseagenturen haben die Preise bis unter Aua gesenkt. Ohne Touristen keine Arbeit, ohne Arbeit keine Stabilität. Jeder der wegbleibt fördert ein instabiles Ägypten – fast schon egal zu welchem Preis.

Ich warte an der Rezeption den Checkin einiger vermeintlicher Hartz 4-ler ab. Zumindest schauen sie so aus. Einige beschweren sich über die Qualität Ihrer Zimmer. Ich kenne die Zimmer. Sie sind gut. Aber dem vornehmlich Deutschen Mob nicht gut genug. Immer nur motzen. Alles für nichts, aber höchstens 20 Euro incl. Halbpension am Tag. Wovon soll Ägypten da noch leben?

Das durchschnittliche Monatseinkommen von Reinigungspersonal beträgt in Ägypten 150 Euro im Monat bei freier Kost und Logis. Ärzte verdienen ca. 700 Euro im Monat. Die Lebenshaltungskosten sind auf ca. 50% des deutschen Niveaus. Jeder Arbeitslose in Deutschland hat somit deutlich mehr Kaufkraft als die Ägyptische Bildungselite. Und genau diese Arbeitslosen stehen jetzt an der Rezeption und beschweren sich. Mein Nacken wird so steif, dass ich nicht mal mehr den Kopf schütteln kann.

Ägypten hat eine jahrtausende alte Tradition der Unterdrückung. Wenige Reiche mit dicken Satellitenschüsseln in umzäunten Neubaugebieten, und massig unverputzte Putzer-Verschläge weit ausserhalb in der Wüste. Warum sollte sich das je ändern?

Die Spitze der Separation ist El Gouna, ca. 25 km nördlich Hurghada. Rechts neben der Einfahrt plätschert ein künstlicher Wasserfall in der Wüste. Links davon hindert privates Wachpersonal jeden unerwünschten Ägypter vom Eintritt ab. Unser Kitesurflehrer kommt nur mit uns rein, weil er auch Anwalt ist. Alle anderen Ägypter müssen draussen bleiben. Es gibt keinerlei staatliche Polizei oder Militär. Die Reichen haben ihre Parallelwelt gebaut, mit privatem Sicherheitspersonal, Lichtschwert-bewaffneten Jedirittern an jedem Kreisverkehr und einer Marina voller Yachten, die Monaco wie Mc Donalds aussehen lässt.

Alles ist sauber, perfekt, stilvoll, fast schon schön – und leerer als das Hotel in Shining. Millionäre mögen keinen Schlussverkauf, also lieber dichtmachen. Wir sind die einzigen Gäste in einer Bar, in der der höllisch starke Vodka Bull satte 10 Euro kostet. Schon bald fliegen wir mit Tempo 150 zu Habibi-Hip-Hop durch die Nacht wieder in die andere Welt. Uli schläft ein, und das erscheint mir irgendwie wie der Tiefschlaf der Astronauten in 2001 auf dem Weg zu neuen Planeten.

Warum sollte es Ägypten dieses Mal schaffen? Weil die Ägypter noch viel mehr Stolz haben sollten, als ihnen die Geschichte ließ. Weil sie ehrwürdige Gastgeber sein können – Taxifahrer generell ausgenommen. Weil so viel passieren könnte, aber alles immer nur gleich blieb. Weil Ägypten einfach mehr verdient als Almosen und 10 Euro Trinkgeld, die das Monatseinkommen fast verdoppeln. Ich drück dir die Daumen, Ägypten!

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