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Kapstadt

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2017
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Südafrika ist bunt. Der Wechsel vom ruhigen Langebaan und dem Ende-der-Welt Chill² in Witsand mitten rein in die vier Millionen Einwohner von Kapstadt könnte nicht drastischer ausfallen. Auf der Anreise machen wir noch Abstecher über den Tradouw-Pass ins Weinland hinter den Bergen und inspizieren einen potentiellen Flachwasserspot bei Hermanus.

Unser Hostel sah etwas vom Schuss aus. Tatsächlich liegt das Cat and Moose mit seinen schönen alten Räumen mitten im Herzen der Long Street. Die Long Street ist die Bourbon Street von Kapstadt, eine ungaubliche Partymeile mit unzähligen Restaurants, Kneipen, Live-Clubs und feinen House-Schuppen. Da wir auch noch übers Wochenende gebucht haben ergibt sich ein recht heftiges Tag & Nacht Doppel-Programm.

Wir touren über die Kap-Halbinsel und besuchen die Pinguine in Simons Town. Es regnet in Strömen, Regen den Kapstadt dringend brauchte. Nach zehn Tagen und gut 1.700 km geben wir unseren Mietwagen am Flughafen ab. Er durfte so einiges auf den Schotterpisten Südafrikas mitmachen – und selbst der direkt beim Einladen vergessene Kofferraumdeckel wird uns anscheinend nicht berechnet.

Mit dem Bus geht es vorbei an unzähligen Townships zurück ins Zentrum. Alle Warnungen von Freunden vor den Gefahren entkräften sich von allein. Entwickle ein Gefühl dafür, wo es brenzlig wird! Trage nichts, was Du nicht brauchst! Und vertraue darauf, dass Unglück sich meist ängstliche Menschen als Spielpartner auswählt. Wer das Zentrum von Kapstadt für gefährlich hält soll bitte mal nach Venezuela, Honduras oder in eine Brasilianische Großstaft fahren – danach wirkt Kapstadt auf dich so gechillt wie ein Mogwai auf Yogi-Tee.

Kapstadt hat einen ganz eigenen Rhythmus. Im gesamten Stadtzentrum stehen wenigstens alle 100 Meter oder vier Takte Sicherheitskräfte. Dazwischen sorgen für jeweils zehn Parkplätze ein Wächter im 3/8tel-Takt für noch mehr Sicherheit – nicht nur für Deinen Wagen, sondern auch für Deine Gesundheit. Jeder zweite will dir nämlich richtig sicheres Gras andrehen, ganz anders als die zahlreichen und furchtbar unsicheren Straßendealer. Auf den jeweils zehn Meter Lücke Zwischen Sicherheitspersonal und Parkwächtern kommen drei Bettler. Es ist schwer weiterzugehen und daran zu glauben, daß Almosen auf das bitter traurige Moll ihrer Stimmen nur noch mehr Leid generieren.

Es kursiert einiges an harten Drogen in Kapstadt, auch im Zentrum und nicht nur in den Adern von Schwarzen. Der Typ der jeden Tag leicht bekleidet nur immerzu die Long Street rauf und runter rennt und dabei mir roten Augen essentielle Erkenntnisse wie “Oh, it’s so cold.” mit dir teilt ist noch amüsant. Ein Freak mit gelben Augen, der in zerfetzten Hosen imaginäre Fliegen vom Boden auf dem Grünstreifen fängt ist harmlos. Erschreckend wird es, wenn eine barfüssige Crackleiche wild um sich schlagend solange auf der Straße liegt, bis selbst genügend Schwarze weggeschaut haben – und endlich der Krankenwagen kommt.

Wir fahren auf den Signal Hill und trinken im Sonnenuntergang mit den Capetonians und Besuchern aus aller Welt Wein. Verena freut sich über die Nähe von zwei veganen Restaurants und ich mich über die fast überall hervorragende und abwechslungsreiche Küche aus aller Herren Länder. Ein paar wenige male bekommen wir wirklich schlechtes Essen. Aber 1,5kg Sizzling Steak auf einem Berg aus Reis und Nudeln, übergossen mit süß-saurer Soße und Pommes an Vanillesoße-ertränktem Matschgemüse – gereicht von einem Inder zum stolzen Preis von vier Euro bringen uns dann doch einfach nur zum lachen. Alles weitere Essen ist spitze.

Im Hafenviertel an der Victoria Waterfront reihen sich die Luxusmarken der Welt in unendlichen Reihen von Nobelshops aneinander. Die Dachfenster des modernen Robben Island Museums daneben kacken weisse Tauben vollkommen zu. Schwarze putzen diese dann wieder. Es scheint wie ein Bild eines entweder sehr verzeihenden oder stillstehenden Landes. Drei Blocks weiter schlafen Obdachlose unter Pappe.

Unsere erste Nacht auf der Long Street wird wirklich lang. Gutes Essen im veganen Plant, dann guter Wein im Cockteil Emporium. Ein Abstecher in den Arcade Club, weiter ins Papagallo auf ein Livekonzert, um schliesslich mit zwei jungen Südafrikanischen Studenten bei noch mehr Livemusik im Mojito bis zur Sperrstunde um zwei über den Weg Südafrikas zu philosophieren.

Die Apartheit und die Mauer fielen ungefähr zur gleichen Zeit. Aber hier hat sich deutlich weniger getan. Die Weissen sind immeronoch die Herren, die schwarzen bestenfalls Angestellte. Es kommt selten vor, daß dich mal ein Weisser bedient. Die Schwarzen stehen auf der Straße vor jeder Baustelle mit einer Fahne und winken den ganzen Tag, bis ihnen der Arm abfällt. Ja, besser ein schlechter Job als gar keiner. Aber das Bild hat sich bei mir eingeprägt. Ein Menschenleben ist hier immernoch weniger Wert als der Strom für einen Fahnenschwenker. Wenige Schwarze schaffen es. Und wenn sie es geschafft haben, dann feiern sie auf der Long Street. Hier ist der erste Ort in Südafrika, an dem die Menschen wenn schon nicht gleich, dann doch zumindest um einiges gleicher sind als im Rest des Landes.

Irgendwie haben wir ein Faible für Bergbesteigungen nach langen heftigen Nächten entwickelt. Am Samstag Morgen zeigt sich der Tafelberg vollkommen wolkenfrei. 200 Tage im Jahr ist er wegen zu starken Winden gesperrt, 75 weitere steckt er in Wolken. Nach einem schnellen Frühstück fahren wir mit dem Bus zum Tafelberg. Wir entscheiden uns für die richtig harte Aufstiegs-Route von Sir Edmund Hillary: er fuhr mit der Seilbahn rauf. Wir stehen erst mal schnell eineinhalb Stunden in der Schlange zur Seilbahn, dann geht es in steilem Winkel und stützenfrei auf den Berg. Mit 260 Millionen Jahren ist der Tafelberg fast zehn Mal so alt wie die Europäischen Alpen. Auch die über zwei Millionen Touristen bisher haben ein gewisses Gewicht. Wir sind platt auf einem platten Berg.

Wir entschließen uns nur für eine kurze Inspektionsrunde. Dummerweise sind die Aussichten, die Schluchten und Felsen sowie die zum hinteren Ende wechselnde Vegetation mit enem kleinen Hochmoor dann doch so abwechselnd und faszinierend, dass aus der kleinen Inspektionrunde eine gut dreistündige Wanderung mit einigen Abstechern bis zum hinteren Ende bei McLarens Beacon wird. Ohne Wasser und bei knalle Sonne. Die einstündige Wartesschlange zur Abfahrt absolvieren wir auf Standby.

Die zweite Nacht auf der Long Street führt ins letztmals geöffnete Neighbourhood, einem Gründerzeit-Komplex mit großen alten Salons und kleinen gut beschallten Ecken. Vom Balkon aus dem Trubel auf der Straße zuschauend fühlt man sich fast wie zum Mardi Gras in New Orleans. Unter der St. George Cathedral hat sich in der Krypta ein Jazzclub eingenistet. Doch die Band kommt heute nicht über das Niveau von Fahrstuhlmusik raus. Wir stürmen stattdessen eine Swing-Party, checken noch ein paar Bars ab und landen letztendlich im Waiting Room. Ein Bekannter von Verena legt sehr feine Electronica auf, und irgendein Partymeister kotzt mitten auf den kleinen Dancefloor. Leider macht auch dieser Club schon um zwei Uhr zu.

Kapstadt bietet auf dem Green Market Square verschiedene Gratis-Führungen von engagierten Einwohnern. Unser Guide in den District Six ist ein Rastafari erster Klasse, der stets fast schon tanzend mit dem ganzen Körper spricht. Der District Six war über Jahrhunderte ein funktionierender Melting Pot aller Rassen und Religionen. In Jazz Clubs trafen sich Schwarze und Weisse zum gemeinsamen feiern. 1964 rückte die Apartheid mit Bulldozern an, plättete die architektonisch wertvollen Häuser von 60.000 Menschen und siedelte sie 40 km weit in die Townships am Stadtrand um. Heute steht hier die technische Universität. Schwarze Studenten kiffen vor dem Wohnheim. Drumherum verdorren auch 40 Jahre später leere Wiesen in der heissen Sonne. Kaum jemand wurde je entschädigt.

Zwischen District Six und dem Hafen liegt das ehemalige Arbeiterviertel Woodstock. Wir steigen auf der falschen Seite aus und sehen zum ersten mal für eine halbe Stunde keinen einzigen Weissen. Das Danger-Meter steigt auf atemberaubende 20% – und liefert uns damit das Highlight des Ausflugs, denn was alle Führer als Hipster- und Design-Zentrum Kapstadts bezeichnen nennen wir schlichtweg ein paar ganz nette aber hoffnungslos überteuerte Designshops die wohl bald die sonst noch immer recht arme Bevölkerung verdrängen werden.

Die zweite Tour ins Boo-Kap, dem alten malayischen Muslim-Viertel von Kapstadt ist schon deutlich interessanter. Die Gefangenen schlugen auf Robben Island den Granit für die engen Gassen am Fusse des Signal Hill. Kleine Bunte Häuser und einige Moscheen säumen recht überlaufene Straßen. Auch hier hab es Vertreibungen. Aber niemals Krieg oder Gewalt. Die Religionen leben friedlich nebeneinander in Kapstadt. Nelson scheint einiges richtig gemacht zu haben: ein gemeinsames Leben zählt mehr als nach hinten zu schauen. Die Menschen vergeben sich. Mag sein dass sich hier seit der Wende weniger geändert hat als in Deutschland. Aber: wir haben jetzt jede Menge Nazis. Und Südafrika trotzdem keinen Hass.



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Ein Kommentar

  • Peter schreibt am Mittwoch, 1.2.2017 um 15:23 Uhr:

    Super Story. Kapstadt ist eine wunderbare Stadt.

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