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Besser büßen mit IKEA

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#350
0708
2010
Sa
17:13
Tag
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Wir feiern zwei Tage und zwei Nächte. Auf die Sünde folgt die Buße. Ich bin Atheist, gehe folglich nicht zur Beichte. Mein Psychotherapeuth ist schon vor Jahren an mir verzweifelt, und der Jakobsweg ist mir zu übervölkert. Meditation macht mich aggresiv. Vor Yoga habe ich Angst ob den bedrohlichen Oberarmmuskeln mancher Freundin. Wie also kann ich mich von der Sünde reinwaschen?
 
Ich schaue aus dem Fenster. Es regnet. Perfekt! Ich werde eine Pilgerreise nach IKEA machen. IKEA an einem verregneten Samstag kehrt das innerste des Menschen nach außen. Tiefste Abgründe und mannigfaltige Möglichkeiten der Buße lauern hinter jeder Ecke. IKEA an einem verregneten Samstag ist besser als jedwede Sozialpädagogenprüfung.
 
Phase Eins: Übe Dich in Geduld! IKEA liegt immer an einer Autobahn. Nicht um schneller hinzukommen, sondern um überhaupt hinzukommen. Normale Straßen verkraften keine IKEA-Pilgerströme. Sie kollabieren. Auch Autobahnen manchmal, meist so gegen zehn nach Geschäftsschluss. Ich fahre ungehalten an 10km Stau der heimkehrenden Morgen-Pilgerer in den wilden Osten. Noch nicht einmal die sich verengenden Anreisepfade vor dem IKEA-Tor bieten heute Möglichkeiten zur Kontemplation. Es will sich einfach kein Stau bilden. Mal von dem obligatorischen Ausfahrtsstau abgesehen. Der kickt mich heute auch nicht. Ich parke beim Baumarkt gegenüber.
 
Phase Zwei: Mäßige Dich! Eine der herausragendsten Stärken des typischen IKEA-Pilgerers ist die Mäßigung. Er kommt ohne Wünsche und Ziele und kehrt mit einem Elektroherd und Blasen an den Füßen heim. Dazwischen liegen tausende Irrungen und Wirrungen, Ziellosigkeit und mindestens drei tödliche Auffahrunfälle mit feindlichen Einkaufswägen. Wer diese überlebt ist der Mäßigung nah. Vor lauter geilem Geiz vergeht dem Geldbeutel zwar das Lachen, aber das ist nicht weiter schlimm, denn irgendwo muß man ja sparen. Deine Aufgabe: Kaufe Müll, den Du nicht brauchst und mäßige Dich im Preis.
 
Phase Drei: Folge dem Weg! Ich liebe die IKEA Wegeführung. Die Unausweichlichkeit der perfiden und rigoros durchgezogenen kompletten Angebotsbeballerung erweckt in mir ein Gefühl der Sicherheit. Links, rechts, alles egal, folge einfach dem Weg! Gerade in Zeiten der Wirtschaftskrise und der emotionalen Unsicherheiten ist das die ultimative Entspannung. Früher hab ich immer Abkürzungen durch die Feuerschutztüren von einer Abteilung zur anderen benutzt. Das ist jetzt vorbei. Mit zunehmendem Alter genieße ich den Strom der einem klar vorgegebenen Weg folgenden Herde immer mehr. Ich überfahre unauffällig ausversehen zwei Burschen, die es wagten, gegen den Strom zu laufen.
 
Phase Vier: Du sollst keine anderen Götter haben neben mir! Alleine Deine Anwesenheit in IKEA garantiert die Erfüllung dieses Gebots. Wie grausam war Wohnkultur doch in prae-IKEAnischen Zeiten! Jeder hatte andere Möbel, die Zusammenstellung verschiedener Stücke musste individuell arrangiert werden. Wurde man erstmals von einem Pärchen eingeladen, konnte man noch nicht mal Rückschlüsse auf deren Kreativität ob der Anordnung modularisierter Einrichtungselemente ziehen. Das ist heute besser. IKEA ist besser als Kommunismus. IKEA ist der multiresistente Keim unter den Möbelhäusern. Wo IKEA aufmacht, machen alle anderen dicht. IKEA macht alles gleich. IKEA, ich danke Dir für die Normisierung deutscher Wohnzimmer!
 
Phase Fünf: Mäh! IKEA enttäuscht mich heute. Kein Stau, kein Gedränge, die Feuerschutztüren stehen alle offen, und über den Zeh ist mir auch noch keine Dummbrezel mit ihrem Streitwagen gebrettert. Wie soll ich da Buße tun? Ich setze mich auf einen Haufen Gilda Blom Kissen und warte darauf, dass sich mir ein Zeichen offenbart. Normalerweise geschieht das permanent. Aus neun von zehn Konversationen der Powershopping-Herde ergeben sich gut verwertbare Lebensweisheiten für den täglichen Gebrauch. Heute: Nichts. Ich muss was tun. Stehe auf, richte mich gegen den Pilgerstrom und gebe ein lautes "Määääääääh!" von mir. Eine dicke Kuh mit Bauerwelle schaut mich fragend an. Sonst nichts. Ich fahre heim. Meine Beute: Eine Bananenstaude und eine Hundertschaft dieser unauffällig parfümierten Klosteine mit Docht. Absolution ist echt was feines.
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