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Mount Taranaki

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#517
3012
2012
So
23:51
Tag
2032
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Ich bitte alle um Verzeihung, die mir einen guten Rutsch wünschten. Ich musste ihn erst mal ablehnen. Zwei Tage vor Silvester kaufen wir in New Plymouth ein für die Besteigung des zweithöchsten Vulkans Neuseelands, Mount Taranaki. Wir leihen uns die nötigen Eispickel und Steigeisen für den noch schneebedeckten steilen Gipfel und machen uns im Regen auf den Weg.

Im DOC Visitor Center North Egmont beginnt der Aufstieg zum Gipfel auf 2.550 m. Unser erstes Tagesziel liegt auf 1.500 m Höhe. Die Tahurangi Hut des Taranaki Alpine Club erreichen wir nach knapp zwei Stunden und 600 Höhenmetern völlig duchnässt mit jeweils mehr als 15kg Gepäck für die zwei Tage am Berg. Die Sicht geht gegen Null, der Wind bläst stark.

Für den Aufstieg schliesst sich uns der Allgäuer Kraxler Stefan an, ohne den wir später sicher verfrüht umgekehrt wären. Die Tahurangi Hut ist purer Luxus: 28 Betten nur für uns drei, ein Trockenraum für die Ausrüstung, warme Dusche, große Küche und Couch-Bereich mit Panorama-Fenstern. Ich kenne den Taranaki schon von meinem letzten Besuch. Vollkommen blauäugig stiegen wir damals im November bis zum eisbedeckten Sattel auf ca. 1.800 m auf – dann war mangels Ausrüstung Schluss.

Stefan weckt uns am nächsten Morgen schon früh. Es regnete vier Tage lang, und die Vorhersage für die nächsten Tage ist auch nicht besser. Gestern kamen uns am DOC noch zweit Bergsteiger vom Gipfel entgegen, die eher wie Leichen als wie Menschen aussahen. Sie berichteten von null Sicht und 50 km/h kaltem Wind. Doch wir haben Glück: Hoch über den Wolken begrüßt uns heute ein strahlender Sonnenaufgang bei Fernsicht bis zum 135 km entfernten Tongariro / Ruapehu. Schnelles Früchstück, Ausrüstung vorbereiten und auf zum Gipfelsturm.

Der Taranaki ist der perfekte Kegelvulkan, was ihn auch als Kulisse für „Der letzte Samurai“ berühmt machte. Der untere bewaldete Teil bis zur Tahurangi Hut ist noch relativ flach – zwang mich aber am Vortag dank Gepäck trotzdem schon ordentlich in die Knie. Heute beginnt der Aufsteig mit einem engen steilen Tal durch große Basalt-Felsen. Ab ca. 1.750 m folgen Treppen über steile Grashänge. Danach kommt der mit Abstand schlimmste Teil.

Auf den nächsten 300 Höhenmetern liegt loser vulkanischer Schotter. Jeder Schritt nach oben ist ein Rutsch nach unten. Bis zur ersten Pause auf 2.000 m sind wir die ersten am Berg. Dann überholt uns einer der legendären Neuseeländischen vertikal-Jogger mit einer atemberaubenden Geschwindigkeit. Ich meine eine Staubwolke hinter ihm auszumachen.

Nach dem Geröllfeld beginnen die ersten umgehbaren Schneefelder. Der Taranaki wird immer steiler. Unten nach der Hütte waren es gerade mal 35°, hier klettern wir im blanken Fels bei 45° bis zu 60° Steigung. Einige Male wünsche ich mir ein Sicherungsseil, aber das verwendet hier keiner. Ohne Stefan wären wir hier wahrscheinlich umgekehrt. Mit ihm geht es aber weiter über einen letzten ausgestellten Grat in den Krater auf 2.470 m. Hier liegt noch Schnee und Eis. Der Fernblick ist jede Mühe wert.

Wir packen unsere Eispickel und Steigeisen aus und machen uns auf die letzten 80 Hohenmeter zum Gipfel. Leider ist der Firnschnee schon sehr weich. Wir finden mit den Steigeisen keinen wirklich guten Halt und drehen 50 m vor dem Gipfel um. Werten wir trotzdem als bezwungen. Stefan stürmt alleine weiter. Unsere alten Wanderschuhe sind sauber durchnässt, und auch wenn hier ein Abrutschen nur bis in den Krater möglich ist: auf Bisse von 4 cm lange Steigeisen-Zähnen haben meine Waden einfach keine Lust. Etwas weiter unten vor dem Krater würde ein Abrutschen wenigstens 200 Höhenmeter und einen sich sicher übel anhörenden Einschlag in den unter dem Schneefeld liegenden Felsen bedeuten.

Langsam kommen die anderen Bergsteiger am Gipfelkrater an. Wir waren heute bis auf fünf weitere die einzigen mit Kaiserwetter hier oben. Das Wetter verschlechtert sich schlagartig. Es wird zeit für den Abstieg. Der Wind wird stärker, und die hochziehenden Wolken verkürzen die Sicht teilweise auf unter Wegmarkierungs-Abstand. Wir haben Windbreaker, Fleece und Regenponchos dabei und brauchen heute auch alles. Die Stöcke sind ganz oben recht wertlos, aber unten das einzige was die Oberschenkel vom explodieren abhält – zum Preis heftigst belasteter Handgelenke.

Unglaubliche Gestalten quälen sich den Berg nach oben. Ein Philippina in Halbschuhen auf 2.200 m kann ihren Rucksack schon beim Aufstieg nicht mehr tragen. Ich hoffe, es war bessere Kleidung drin, als sie anhatte, denn der Rückweg ist langes Blut. Weiter unten ein paar bekehrbare Inder, die sich Steigeisen über Turnschuhe ziehen wollten. Gegen drei Uhr zuletzt ein japanisches Pärchen in Yu-ki-oh-Tshirts, das den Berg in Nike Airs nach oben rannte. Auf meine Hinweis „Turn around, or you’re gonna die!“ nicken sie freundlich lächelnd und rennen weiter.

Der Abstieg ist lang und schwer. Auf der anderen Seite gab es feinen Vulkan-Schotter, den man hervorragend kontrolliert nach unten surfen konnte. Fast wie Snowboarden. Stürzen tat nicht weh. Auf dieser Seite des Taranaki ist die Geröllschicht zu dünn. Ich stürze einige male, der darunter liegende scharfkantige Vulkan-Fels beisst blutig in Wade und Hintern. Nach dem Geröll folgen erlösende 620 Stufen und das enge Tal bis zur Hütte. Fertig. Fix und.

In der Nacht beingt ein Sturm mit starkem Regen die Hütte zum wackeln. Er hält bis zum nächsten Morgen. In strömendem Regen steigen wir bei 50 bis 70 km/h Wind die letzten 600 Höhenmetern runter ins DOC Center ab. Der Sturm ist so heftig, dass von unseren Regenponchos nach der gut einstündigen Wanderung nur Fetzen übrigbleiben. Meine Wanderschuhe haben Tollwut. Sie schäumen auf der Zunge. Dieses Abenteuer ging wirklich ans Limit.

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