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Nicoya Soulsister

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2015
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Mit manchen Menschen planst du Reisen für Äonen. Andere Reisepartner finden dich binnen Augenblicken. Beide haben eines gemeinsam: Du hast keine Ahnung, wo die Reise mit ihnen hinführt. Richtig Reisen ist stets unplanbar, offen und ohne Ziel.

Ich habe 17 Thailändische Tucken zu Tode gegrinst, 24 Ägyptische Aasgeier in den Schlaf geredet und wenigstens 32 Philippinische Karaokeros ins K.O. gesungen, doch in den Drückern an der Nicaraguanischen Grenze finde ich erstmals meine Meister. Ein stets wechselnder Schwarm von wenigstens fünf eloquenten Scheißhausfliegen vollbringt auf den 800 m Fußmarsch zwischen Costa Rica und Nicaragua das Meisterwerk, einem Globetrotter statt der nötigen 20 $ satte 60 $ aus der Tasche zu ziehen.

Die hierfür nötigen Zutaten waren lediglich ein gebrochenes Kitebag-Rad bei 41 kg Reisegepäck, ein in Costa Rica gekaufter Ersatzmonitor für meinen defekten Laptop sowie ein perfekt ins Schmieri-Dari-Theater integrierter Grenzbeamter. Meine erste Grenzüberquerung kostet nette 20 $ Bakschisch für einem 90 $ Monitor und 30 % Umtauschverlust bei einem offiziellen Wechsler.

Auf dem Rückweg von Ometepe nach Costa Rica bunkere ich daher alles überflüssige Gepäck sowie Kite-Material und Monitor für eine Woche in einem Slum in Rivas. Das K.O.-Argument des vermittelnden Taxifahrers lautete: „Ist sicher, niemand würde hier je einbrechen.“. Mein Vertrauen in die Menschheit, Höflichkeit sowie die fehlende Eingangstür des Hauses bekräftigen seine Meinung. Auf dem zweiten Grenzübertritt ziehe ich binnen jetzt nur noch einer Stunde eine blutige Spur von 37 mit ihren überflüssigen Formularblöcken erschlagenen Drückern hinter mir her.

Mein Weg führt ins gerade mal 250 km aber satte 10,5 Stunden mit drei Bussen, zwei Taxis und einer Fähre entfernte Tamarindo im Norden der Halbinsel Nicoya. Die einwöchige Tour mit Kitemag-Covergirl Silvia war monatelang geplant, doch die stressige erste Grenzüberschreitung nach Nicaragua brachte mich beinahe von diesem Plan ab. Zum Glück scheitert die Planänderung an meinem Dickschädel.

Schon nach wenigen Minuten reden mit ihr weiss ich, was ich auf dieser Reise bisher vermisste: gemeinsames Reisen in der richtigen Geschwindigkeit, mit offenen Zielen und Wegen, sowie den freien Blick auf die großartige kleine Magie dazwischen. Genau so glüht unsere Reise über Nicoya die ganze Zeit.

Am ersten Tag im touristisch recht verseuchten Tamarindo scheitere ich beim Versuch, ob Silvias Kitemag-Bildern und meinen Blog-Texten einen gratis Segeltörn zu erhaischen. Der nahe Laichplatz der bis zu drei Meter grossen Lederschildkröten ist vom Playa Tamarindo nur durch einen kleinen Fluss getrennt. Die in selbigem sesshaften Krokodile bringen zahlreichen Tourguides und Bootsfahrern 45 $ pro Person für die erleuchtende Erklärung, dass man gerade eine ablaichende Schildkröte sähe. Wir verzichten dankend auf derartiges Naturmarketing und verprassen unser knappes Budget stattdessen für einen Speed-Bus nach Santa Teresa im Süden Nicoyas. 50 $ und sechs Stunden für zu einem großen Teil unasphaltierte 200 Kilometer sind selbst für das teure Costa Rica ein einmaliger Spitzenwert.

Wir reisen ohne Buchungen, suchen mit leichtem Gepäck direkt vor Ort unsere günstigen Hostels. In Santa Teresa herrschen mächtige Wellen über kiffende Rastafari-Surfer. Die Zeit tickt vollkommen anders als in Tamarindo, sogar der Vollmond verschläft sein Erscheinen. Zum ersten Mal in vier Wochen Reisen ist Costa Rica so, wie ich es mir vorstellte: türkises Wasser bricht an weissem Strand, und im Urwald hinter den Palmen brüllen die Affen. Ich beschäftige mich mit wichtigen elemantarphilosophischen Fragen wie z. B. „Was macht ein Tausendfüssler mit Schuhtick?“ oder „Wieviel Facebook likes kann ein Ami in einer Minute Konversation unterbringen?“ – und bin auch ohne konkrete Antworten darauf glücklich.

Zum Sound von Kettcar wandern wir weit durch den Dschungel und über einsame Strände. Ich komme zurück ins Gleichgewicht, nur um selbiges Tags darauf während einer legendären Vollmondparty auf Sand tanzend zu verlieren. Die DJs aus Ibiza feuern mit dem riesigen Scheiterhaufen am Strand um die Wette. Über einigen hundert tanzenden Gästen aus aller Herren Länder schwebt im Laserlicht zwischen den Palmen eine dicke Graswolke, aus welcher es im Laufe des Abends heftigst schneit. Erst im Morgengrauen wandern wir nach Hause.

Eine kurze Busfahrt nebst Tramper-freundlichem Ami bringen uns ins nahe Montezuma, die kleine und noch relaxtere Version von Santa Teresa. Die Dorfjugend springt vom anscheinend einzig kostenlosen Wasserfall Costa Ricas ins kühle Dschungel-Wasser. Wir wandern kilometerweit über einsame Strände zum nächsten.

Unser letzter gemeinsamer Tag wird All inclusive. Wir schlürfen Smoothies, kapern wandernd ein Luxusresort, feiern auf einer Poolparty, spielen Gitarre, singen und schauen dem klaren Sternenhimmel beim sich drehen über Lagerfeuern am Strand zu. Nach einer Stunde Schlaf reise ich früh morgens ab ins zwölf Stunden entfernte Nicaragua. Zum Abschied mache ich meinen Frieden mit Costa Rica. Ich danke Dir für das wunderbare gemeinsame Reisen, ein Reisen, so gut wie es nur sein kann, Soulsister! Wir sehen uns dort, wo der Wind bläst!

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beach fire


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Ein Kommentar

  • carin schreibt am Mittwoch, 11.3.2015 um 13:54 Uhr:

    Wieder einmal tolle Berichte und einmalig schöne Fotos.

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