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Filippino Ferrycoaster: Iloilo

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#428
2712
2011
Di
11:49
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In der Nacht verfalle ich in eine Art religiösen Wahn. Zuerst spüre ich ein Kribbeln am ganzen Körper, dann Jucken, zuletzt Brennen. Ich mache das Licht an. Stigmata an Armen und Beinen? Wow! Die höhere Macht gibt mir Zeichen. Sie sagt: “Zieh weiter!”. In diesem Fall durch ein komplettes Ameisenvolk, abkommandiert mir durch zahlreiche Bisse mein Bett streitig zu machen.

Gegen ein Uhr analysiere ich rauchend die Tragweite des Zeichens – und fordere daraufhin ein neues Zimmer. Was ich bekomme ist ein neues Bettlaken, zwei Besenwischer durch’s Zimmer und den Rat, ins andere Bett zu wechseln. Philippinische Ameisen wären recht ortsgebunden. Anscheinend korrekt. Das andere Bett bleibt bis zum Morgen meines.

Ich weiss nicht, was ich machen soll. Negros? Es regnet immernoch in Strömen, im Norden interessiert mich nichts ausser Mount Canlaon. Ich lese den Lonely Planet, Nachbarinsel Panay. Auch hier interessiert mich nichts. Ich checke Wind und Zimmerverfügbarkeit in Boracay. Wind ist da, Zimmer weg. Schließlich ziehe ich zum Hafen und nehme den Weenan Express rüber nach Panay.

Nicht mal zwei Wochen nach dem vermutlich über 2000 Menschenleben fordernden Taifun Washi hängt jetzt schon wieder schweres Sturmtief über Mindanao. In der Meerenge zwischen Negros und Panay bringt es drei Meter hohe Wellen. Schon kurz nach Abfahrt der Fähre werden Speibsackerl verteilt. Nicht umsonst. Wer sich in Achterbahnen langweilt, sollte unbedingt mal bei so einem Wetter auf den Philippinen Speedferry fahren. Die Dinger können alles, was auch Achterbahnen können. Aber ohne Sicherheit vermittelndes TÜV-Siegel. Eine Fähre schaffte angeblich schon einen Looping. Halb. Berichten konnte davon allerdings keiner mehr.

Der Wind hackt jetzt mit Spitzen weit über 30 Knoten. Die Gischt schlägt hoch über die Fenster. Meistens schaut es sowieso eher nach Uboot aus. Mächtige Brecher krachen auf den Rumpf der 40km/h schnellen Fähre. Schwere Erschütterungen bringen mich zum zittern. Das Schiff rollt extrem, oft ist in den großen Fenstern der Horizont oben nicht mehr sichtbar. Tolle Fahrt, kurzweilig aufgelockert durch neue Zeichen der hohen Macht, diesmal in Form der Untertitel eines offenbar taubstummen blinden Inders zu Mr. Bean: “Me way I isn’t extremely obvious, think well.”.

Obwohl Iloilo schon die zweite verdreckte Großstadt in Folge ist: ich bin froh, als ich wieder an Land bin. Checke ins zentrale Ung Bun Hotel, marschiere zum Hafen. Es regnet endlich nicht mehr. Der Captain einer Bangka sagt, heute würden wegen der extremen Bedinungen nur 75% der sonst üblichen Passagierzahlen auf jedem Boot zur Nachbarinsel Guimaras akzeptiert. Ein zu 75% der offiziellen Maximalbesetzung belegtes Philippinisches Transportmedium? Das ist ungefähr gleichzusetzen mit der Aussage eines bereits halb in Lava versunkenen Bewohners von Pompeji 79 n. Chr.: “Es wird langsam etwas warm”. Sprich: Ich spar mir Guimaras.

Iloilo ist mit seinen 500.000 Einwohnern die größte Stadt Panays. Es gibt einige alte Häuser aus dem Zeitraum zwischen 1900 und 1930. Viel schöne Art Deco, wenn man es unter dem Dreck von 90 Jahren Verwahrlosung erkennt. Tief in den Eingeweiden eines großen Schuhgeschäfts fällt der Strom aus. Im Dunkeln fragt mich ein Verkäufer nach meiner Schuhgröße. Meine Antwort erschreckt ihn anscheinend sehr. Ich sehe ihn nie wieder.

Der Wind hackt weiter. Im Umkreis von wenigstens 20 km Stau gibt’s keinen einzigen sauberen Sandstrand. Kiten ist nicht. Auch in Iloilo stehen überall Schilder: “Observe cleanliness”. Ja, sie bemühen sich manchmal wirklich. Trotzdem erscheint mir diese Aufforderung ungefähr so skuril, als würden mich die Zeugen Jehovas zum Whale-watching in der Sahara einladen.

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Ein Kommentar

  • Dominik schreibt am Mittwoch, 28.12.2011 um 18:16 Uhr:

    Ich lach mich schlapp!

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