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Danke, Pflegenotstand!

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2011
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Mich kotzt der Pflegenotstand in Deutschland langsam mächtig an. Bis vor wenigen Monaten war er mir ziemlich egal. Aber jetzt hab ich eine Krankenschwester zur Freundin. Dummerweise auch noch eine, die deswegen eine wurde, weil sie sich wirklich sorgt. Die Auswirkungen werden allmählich ziemlich drastisch, sogar für mich als liebend gerne nachts arbeitenden Webdesigner.

Der Pflegenotstand in Deutschland kam nicht überraschend. Er ist mehr sowas wie ein 200-Meter Tsunami in Zeitlupe. Alle mutieren auf einmal zu surfenden Erdmännchen, stehen staunend an der Küste und wachsen ihre verstaubten Surfboards. Als hätten sie noch nie ’ne Welle gesehen. Als könnte man gerade diese sicher noch stilistisch korrekt abreiten. 200 Meter links neben dem nächsten AKW.

Armes Deutschland. Irgendwie haben wir ’ne Höllen Kollektivschuld, ganz tief versteckt drinnen. Okay, mal von ein paar ewig gestrigen meist ostdeutschen Vollidioten abgesehen. Tango tanzen is nun mal für Taube schwer zu lernen. Also: Wir sind schuld. An zwei Weltkriegen. Nicht an einem. Egal, wie sehr wir uns in die internationale Gemeinschaft integrieren, Gyros kaufen und Münzen verschieben. Wir sind einfach immernoch schuld. Oder warum haben wir Deutschen denn sonst so einfach überhaupt keinen Bock, uns zu vermehren?

Ist Deutschland ein schlechtes Land? Nö, ich find’s gut, und Bayern is eh as beste. Vielleicht war Deutschland mal schlecht. Vor meiner Zeit. Erbsünde is was für religiöse Fanatiker. Ich bin Atheist. Ist Deutschland ein armes Land? Nö, wir haben alle IPhones. Ist Deutschland ein unsicheres Land? Noch ein klares Nein – mal abgesehen von der Tatsache, dass es schon noch etwas sicherer werden könnte, wenn alkoholisierte Unfallverursacher genauso hart bestraft werden würden wie nüchterne – oder gar bekiffte.

Deutschland stirbt aus. Wir sollten eine Freiheitsstatue bauen: „Gib mir deine Massen!“. 2025 holen wir die zweite Hälfte der Türkei nach Deutschland und nehmen selber Migrationsunterricht – unsere ausländischen Mitbürger haben sich lange genug erfolgreich gewehrt. Damit wäre die Bevölkerungspyramide in Deutschland wieder ausgeglichen, und der Pflegenotstand würde sich verringern. Aber wer wählt dann noch die CSU?

Eine weitere große Ursache des Pflegenotstandes ist die Abschaffung des Zivildienstes. Kein Deutscher Politiker traute sich, schier unhaltbare Behauptung aufzustellen. Ein Vorschlag? „Das soziales Jahr als Pflicht kann nicht dem Arbeitsdienst im dritten Reich gleichgesetzt werden.“ Krass unhaltbar, oder? Jeder junge Mensch in Deutschland würde soziales Verhalten als kostenloses Upgrade zum BWLer-Gen erhalten. Am Ende würde noch der deutsche Rap aussterben, und Krankenschwestern wären noch mit 45 kein Pflegefall.

So wie sich der Pflegenotstand gerade meine Krankenschwester vorknüpft, hoffe ich noch auf ein erfülltes Leben. Zumindest noch ein paar Jahre. Dann ist sie fertig und hat neben allen hohen Idealen auch noch ihren Körper verheizt. Verheizen lassen, sorry. Denn wenn zwei Monitore parallel dauerklingeln, ist nun mal binnen acht Stunden Schicht an keine zehn Minuten Essenspause zu denken. Nochmal sorry. Zehn Stunden. Kürzere Spätschichten gibts eigentlich seit Wochen nicht.

Etwas erleichtert wird der Pflegenotstand durch die Tatsache, dass gerade meine Krankenschwester ja den Notstand pflegt. Sie arbeitet auf der Inneren. Typischer Kunde: Alki auf dem letzten Zwischenstop, bevor er endgültig Las Vegas verlässt – ohne Elizabeth Shue oben drauf. Es fällt mir schwer, Mitleid aufzubringen. Noch nicht mal totsaufen geht, ohne auf dem Weg noch andere zu belasten.

Pflegenotstand, Kopf hoch! Alles Schlechte hat auch sein Gutes. Ich muss mit dem Abendessen nicht mehr auf meine Freundin warten. Bis elf würde mein Unterzucker so mächtig, dass ich eine private Hungersnot ausrufen müsste. Also ess ich schon um neun, vermeidet schlechte Träume. Heute kam meine Krankenschwester schon um halb zwölf aus dem Schlachthof. Hab ihr schnell ein Brot gemacht. Noch bevor sie mich um eine Massage bitten konnte, ist sie eingeratzt. Lässt mir mehr Zeit zum schlaflos sein und nervige Texte bloggen. Danke, Pflegenotstand!

pflegenotstand
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6 Kommentare

  • Inga schreibt am Sonntag, 9.11.2014 um 21:20 Uhr:

    auch ich bin krankenschwester…. seit nunmehr 24 jahren arbeite ich in der pflege…
    ich bin krankenschwester geworden weil ich es liebe…sorry geliebt habe…
    auch meine famillie leidet mittlerweile arg unter dem pflegenotstand.
    mein körper hat dieses jahr die notbremse gezogen… gott sei dank …ich weiß nicht ob ich es getan hätte

  • Lea schreibt am Freitag, 21.11.2014 um 22:09 Uhr:

    Auch ich bin nach 17 Jahren als Krankenschwester nennen wir es nett Verbraucht, den meisten meiner Kollegen egal ob Ambulant od er Stationär tätig welche so um die 40 Jahre sind geht es genauso die Kraft reicht grad noch für die Arbeit Familie und Freunde bleiben dank Doppel und Extraschichten auf der Strecke. Privatleben nicht für Pflegepersonal. Soziale Isolation ist im Berufspaket Gratis mit dabei, einzige Lösung Gesunder Egoismus und ein klares Handy aus wenn der Feierabend und oder das Frei naht aber viele wie auch ich haben dann ja wieder ein schlechtes Gewissen welches uns schon über so viele Jahre hinweg andressiert wurde.
    Aber mal ehrlich wie soll es weitergehen??? Wenn auch noch der letzte Rest von uns mit spätestens 50 selbst dank Dauerüberlastung zum Pflegefall wird???
    Ich weiß es nicht, aber das Bild vor meinen Augen lässt mich vor Grauen erstarren während unsere immer fröhlichen Politiker weiter Pflegeversenken spielen und die Krankenkassen sich bei Preisverhandlungen gebärden das jeder Basarbesitzer das weite suchen würde .

  • Stephanie schreibt am Montag, 17.8.2015 um 9:29 Uhr:

    Es wird leider nicht besser, die Berichte Häufen sich und die Schwestern kippen nach 10 bis 12 Tagen Dauerstress aus den Latschen. Viele flüchten – ich nehm mich da nicht aus – ins benachbarte Ausland weil Anerkennung besser, Bezahlung besser, sogar Weihnachtsgeld gibt es ( auch nicht inkl. in Deutschland dafür das man sich nen Ast abgeschuttelt hat). Und ganz klar: ich würde den Job nicht mehr lernen. Und Deutschland sieht mich auch nicht wieder als Schwester. Nicht unter den Bedingungen. Ich sehe mit großem Unbehagen was in Deutschland passiert. Es reicht nicht.
    Die nächste Infektionswelle wird es ans Licht bringen. Da bin ich überzeugt. Noro ist ein fieser Gegner. Er wird die letzten unserer Art auf Station ausnocken und dann darf sich die Geschäftsführung fragen, was sie tun soll um dem Problem Herr zu werden.

  • Nora schreibt am Donnerstag, 27.8.2015 um 21:11 Uhr:

    Sehr geehrte Pflegenden !
    Sehr geehrte Damen und Herren !
    Liebe Mitstreiter- und innen !

    In einem offenen Brief an Herrn Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe üben
    Werner Kollmitz Kontakt: http://www.menschenwuerde-in-der-altenpflege.de/

    Reinhard Leopold Kontakt: http://www.heim-mitwirkung.de

    Michael Thomsen Kontakt: http://www.michael-thomsen.de

    harsche Kritik am Referentenentwurf zum Pflegestärkungsgesetz II, denn es beseitige nicht den bestehenden Pflegenotstand.

    Mehr Info u.a. unter
    http://www.menschenwuerde-in-der-altenpflege.de/

  • waltraut schreibt am Mittwoch, 25.1.2017 um 12:17 Uhr:

    Mein Sohn ist Altenpfleger und die darf man auch nicht vergessen, da läuft es ganz genauso, nur ein gerenne, schichtwechsel, wenig Gehalt, Grundversorgung kaum noch möglich geschweige denn mal die Hand eines alten Menschen halten oder ein Gespräch, die alten Menschen werden alleine gelassen in ihrer letzten Zeit die sie noch haben und die Pflegekräfte krank und kaputt gemacht bei kleinem Geld und von der Rente mal ganz zu schweigen. Aber Frau Merkel schießt unsere Steuern ja lieber wo anders rein!!!!Pfui!

  • Sabrina schreibt am Mittwoch, 1.2.2017 um 6:37 Uhr:

    Hallo zusammen.
    Ich bin seit 17 Jahren in der Altenpflege tätig. Mir geht es genauso wie den meisten hier. Ich habe den Beruf der Altenpflegerin erlernt weil ich ihn gern gemacht habe. Das ist schon lange nicht mehr der Fall! Ich habe 3 Kinder und mein Mann ist auch Altenpfleger. Durch den Pflegenotstand sind wir eigentlich mehr im Geschäft als zu Hause bei den Kindern. Diese sind total genervt wenn mal wieder das Telefon klingelt und Mama oder Papa mal wieder einspringen müssen. Sogar im Urlaub wird man terrorisiert und gefragt ob man nicht 1 oder 2 Tage früher zurück kommen kann weil mal wieder Personal fehlt. Mich kotzt es auf deutsch gesagt einfach nur noch an! Andauernd das gerede der Geschäftsführung und der PDL: “ Es wird bald wieder besser, bitte halten Sie durch“. Das ist verlogener Quatsch! Wie soll es denn besser werden, wenn es kaum noch Ausbildungswillige in diesen Beruf gibt? Man wird nur noch ausgenutzt und wenn man dann mal krank ist, weil man wirklich nicht mehr kann, wird einem ein schlechtes Gewissen eingeredet. Nein! Ich kann diesen Beruf nicht weiterempfehlen. Diesen körperlichen und psychischen Stress wünsche ich niemendem!

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